Lernen 2.0: Didaktik der Autodidaktik

„Lernen gelernt“ zu haben, wird häufig gesagt, ist wichtiger als einzelnen „Stoff“ auf Abruf gespeichert zu haben. Klar: Zu wissen, wo und wie ich alles das bekomme, was ich wissen will, ist viel mehr Wert als das einzelne Wissensobjekt. (Von der relativen Nutzlosigkeit von Datensammlungen oder Einzelinformationen im Kopf gar nicht zu reden.) „was ich wissen will“ ist dabei übrigens der am meisten ignorierte und meistens unterschätzte Satzteil. Dazu sagt Andreas Schleicher:

„[Es kommt] vor allem [auf] die Kompetenz [an], Informationen aus den unterschiedlichsten Bereichen so zu verknüpfen, dass etwas Neues entsteht – eine neue Erkenntnis, eine Entdeckung oder ein neues Produkt. […] Natürlich ist Wissen entscheidend. […] Aber das ist auch kein Problem in einer Schule, die ich als zukunftsweisend bezeichne. Denn dort lernt der Schüler, weil er es selbst will und nicht, weil der Lehrplan es vorschreibt.“

Trotzdem geht es mir heute nicht um Sinnbildungslernen, Freiwilligkeit und Selbststeuerung beim Lernen, wie sonst immer. Hier geht es mir anlässlich meiner Erfahrungen mit Studenten und Referendaren um eine knappe Beschreibung, wie heute Erwachsene lernen müssen. Hier die wichtigsten Aspekte des Lernprozesses:

1. Lernen ist Sammeln und Neuorganisieren von Informationen zu Wissen. Lernen ist Wissensbildung. Mit Wissen ist nicht bloß kognitives und explizites Wissen gemeint, sondern alle Wissensformen. Man nennt das Sammeln und interne Verarbeiten von Informationen auch Interiorisieren (Vygotskij et al.) oder Konstruieren (Konstruktivisten).

2. Lernen ist Herstellen eigener Wissensbildungsprodukte (im gegenständlichen Sinne) – auch von Zwischenprodukten. (Eigentlich sind alle Produkte Zwischenprodukte in the long run – always Beta!) Das nennt Vygotskij Externalisieren (Entäußern, Vergegenständlichen) und Benjamin Jörissen Artikulieren.

3. Lernen ist Dialog, Kommunikation mit anderen Menschen und mit den Artefakten (Produkten) Anderer. Diese Anderen können also auch schon Verstorbene sein, wie Kant, Goethe oder Hegel und Marx. Sie antworten nur leider nicht mehr. Und natürlich braucht es auch den Dialog mit den lebendigen Zeitgenossen. Mit ihnen lässt sich nicht nur gemeinsam sammeln und diskutieren, sondern auch gemeinsam produzieren (kollaborieren im engeren Sinne).

4. Für diese für das Lernen immer unverzichtbaren Aspekte 1-3 braucht es Medien. Der fortgeschrittenste Stand, Lernprozesse medial zu organisieren, ist der digital vernetzte von heute. Für jeden dieser drei Lernprozessaspekte gibt es heute eine Vielzahl passender Medienformen. Unten ein Modell für die 3 Aspekte des Lernens und die dazu passenden aktuellen Medienformen:

PLNEs ist nicht wichtig zu wissen, wie diese Medienformen aktuell in zehn Jahren aussehen. Es ist daher auch nicht wichtig, instrumentell in die Zukunft zu spekulieren. Die Funktion und die Funktionalität ist wichtig!
Wer sich eine solche – immer persönlich gestaltete eigene – Lernumgebung geschaffen hat, weiß auch, dass die Medienformen sich überschneidende Funktionen haben können: Das Sammeln ist schon vernetzt dialogisch im social bookmarking, das Publizieren von Zwischenergebnissen ist schon eine kollaborative Aktivität in einem Etherpad usw.

Mit einer solchen Persönlichen Lernumgebung (PLE) bzw. Persönlichem Lernnetzwerk (PLN) lässt es sich lebenslang selbststeuernd lernen und arbeiten. Das PLN ist dabei unter ständiger Rekonstruktion. Eine solche Lernumgebung ist die heute mögliche Lösung des Problems, dass jeder Mensch individuell und zugleich kollaborativ lernen muss, wenn er zu kreativen Leistungen fähig sein soll. Meiner Meinung nach müsste es das Ziel der nächsten Dekade sein, jedem Studierenden den Aufbau eines solchen PLN zu ermöglichen. Für Lehramststudierende, jene also, die Anderen, Jüngeren, das Lernen Lernen „beibringen“ sollen, gehören Aufbau, Nutzung und Pflege einer PLN zur Grundaufgabe. Sie ist die Voraussetzung nicht nur für die eigene selbstgesteuerte (autodidaktische) Lerntätigkeit, sondern selbstverständlich auch die Voraussetzung für die darüberhinausgehende notwendige Fähigkeit, andere im Lernen lernen anzuleiten.

In der darauffolgenden Dekade – also bis 2033 müsste es Standard werden, dass Schüler mit einem Zertifikat für Studierfähigkeit (heute Abitur genannt) ein solches PLN aufgebaut haben, es nutzen, pflegen und aktualisieren. Erste Übungen und Kompetenzentwicklung in diese Richtung erwerben die Jugendlichen heute selbstgesteuert und nicht reflexiv außerhalb der Schule in MMORPGs und vor allem in Facebook. Sie sind damit ihren derzeitigen Lehrern zwar voraus, aber das Lernen damit ist noch in statu embryonalis. Sehen wir zu, dass wenigstens die nächsten Lehrergenerationen, die sich momentan in der Ausbildung befinden, diese Aufgabe meistern, denn noch eine oder gar zwei weitere Generationen von Lehrern, die nicht mehr professionell state of the art sind, kann sich die Gesellschaft gewiss nicht mehr leisten.

41 Gedanken zu „Lernen 2.0: Didaktik der Autodidaktik

  1. Danke, Lisa! Ein sehr wichtiger Beitrag! Ob man dabei von Interiorisieren, Externalisieren, Artikulieren oder Kuratieren spricht, ist sicher nebensächlich, wichtig ist die Betonung, dass Lernen heute und vor allem in der Zukunft nur auf der Basis eines dynamischen und im Kern sozialen PLN gut gelingen kann. Dein Hinweis, „dass die Medienformen sich überschneidende Funktionen haben können“, ist sicher mehr als nur ein Hinweis auf Unschärfen in der Kategorisierung. Joyce Seitzinger hat das in einer Präsentation (http://de.slideshare.net/catspyjamas/when-educators-become-curators-keynote-slides-moothr12) sehr gut herausgearbeitet. Sie zitiert dort u.a. Beth Kanter mit einer schönen weiten Definition von Kuratieren: „Content curation is the process of sorting through the vast amounts of content on the web and presenting it in a meaningful and organized way around a specific theme. The work involves sifting, sorting, arranging, and publishing information.“ Sie bezeichnet völlig zu Recht das soziale Kuratieren als eine Schlüsselkompetenz für das 21. Jh. Die drei Bereiche „Sammeln“, „Vernetzen“ und „Teilen“ (kurzfassung) gehören eigentlich zusammen. Wenn man z.B. bei Scoop.it sog. Topics erstellt, muss man schon im Vorfeld der Suche eine erhebliche Konstruktionsarbeit leisten, um eine zielgerechte Filterung zu erreichen. Bei der Erstellung von Topics hat man in der Regel auch schon Vorstellungen vom sozialen Verwendungszusammenhang (für wen, welche Gruppen, Kanäle, Publikationsmöglichkeiten etc.). Das Auswählen bestimmter Suchergebnisse ist immer sofort ein Akt der Bewertung und der sozialen Wissensarbeit. In den meisten Fällen wird dabei dann schon ein Kommentar an eine vermutete fachlich interessierte Netzgemeinschaft beigefügt. Hinzu kommt in jedem Fall die bewusste Entscheidung, über welche Kanäle das Ergebnis noch kommuniziert werden soll. Ich persönlich entscheide mich dabei immer gegenstandsbezogen. Sehr viele Postings gehen an Twitter, aber nicht automatisch. Manchmal füge ich twitterspezifische Formulierungen hinzu, manchmal vertraue ich auf die Selbstständigkeit der kritikfähigen Twittergemeinde. Für Facebook ist die Entscheidung schon schwieriger; hier muss ich eine sinnvolle Verteilung auf fachspezifische Gruppen vonehmen, abgesehen von Fällen, in denen ich ein öffentliches Posten für sinnvoll halte. Mit solchen Tätigkeiten bin ich also schon weit im Bereich des Sharing im Sinne eines fachlichen Austausches. Selbst wenn aus den Posts keine Threads entstehen, kann ich an der „gesehen von“-Funktion ablesen, ob der fachliche Dialog funktioniert, verbunden mit häufigen persönlichen Rückmeldungen über Nachrichten.
    Diese Art der Wissensarbeit wird übrigens zunehmend auch von LehrerInnen angenommen, vielleicht noch nicht aktiv im Sinne von eigenem Kuratieren, aber aktiv im Sinne von Aufnehmen und Verarbeiten. Ich sehe dies in letzter Zeit sehr deutlich an der Gruppe „Pädagogikunterricht NRW“. Sicher fangen allmählich viele KollegInnen an, den berühmten „Mehrwert“ in einer solchen Wissensarbeit zu entdecken. Das lässt hoffen. Noch optimistischer kann man werden, wenn man in universitäre Fachgruppen bei Facebook hineinschaut, was in einigen seltenen Fällen möglich ist. Dort findet eine unglaublich intensive Kommunikation statt, die sich auch nicht nur auf „Wer hat das Passwort für XY?“ oder „Wo kann ich die Ergebnisse der Klausur … finden?“ beschränkt. Dies gilt auch für den Schülerbereich, wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß, allerdings kann man diese Arbeit aus verständlichen Gründen nicht direkt verfolgen. Insofern bin ich durchaus gebremst optimistisch in Bezug auf die Entwicklung im Sinne von Shifting School towards 21. Century. 🙂

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    • Danke, Klaus für den interessanten Beitrag!

      Ich finde es trotzdem nötig, das „Sammeln und Verarbeiten“ – also das Interiorisieren – extra zu stellen. Das gedankliche Verarbeiten ist nämlich nicht automatisch beim „Kuratieren“ dabei. Ich bin noch nicht so überzeugt von der Tragfähigkeit dieser Tätigkeit als Oberbegriff oder Inbegriff des Lernen 2.0. Kann, aber muss nicht! Denn immer häufiger – selbst bei erwachsenen Immigranten – begegnet mir, dass gar nicht mehr genau hingeguckt wird, was da eigentlich weiterverteilt wird. Hauptsache der Titel und der Gegenstand stimmen so ungefähr. Der Verteiler verweilt selbst gar nicht mehr beim Gegenstand. Aber Gegenstände nur weiterreichen, heißt nicht, dass man sie wirklich gut kennt. Wenn man sich als Verteilungsspezialist (Kurator!) sieht, macht das ja nichts. Aber Kurator zu sein, ist ja eine Spezialisierung, also eine Einschränkung. Denn der Kurator muss nur oberflächlich etwas vom konkreten Gegenstand verstehen, mehr so überblicksweise, denn seine Hauptkompetenz besteht im Zusammenbringen von Leuten und konkreten Artefakten des allgemeinen Gegenstands, nicht in der genauen Kenntnis des Gegenstands. Wenn man als Kurator lernt, wird man Kurator, aber nicht Künstler oder Kunstwissenschaftler. Kuratoren werden die Leute, wenn sie schon Künstler bzw. Kunstwissenschaftler sind. Mag sein, dass man als Kurator im Laufe der Zeit immer tiefer in den Gegenstand eindringt, den man kuratiert. Aber es ist ein spezieller Zugang zum Gegenstand. Es gibt andere, ebenso spezielle.

      Schnell wird das Teilen des Gegenstands mit dem Lernen des Gegenstands verwechselt. Das hatten wir schon mal, nämlich zu Beginn der Internetzeit in der Schule. Da gab es eine kurze Phase, in der sehr viele Schüler glaubten, dass, wenn sie die Aufsätze und Artikel aus dem Internet ausdrucken, sie sie auch verstanden haben! Getreu dem Buchkultur-Motto: „Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen.“ Die leichte Verwechslung liegt darin, dass Socializing mehr direkte Belohnung ergibt, als das tiefe Eindringen in den Gegenstand, wo auch viel Zeit drauf verwendet werden muss, alleine mit dem Gegenstand zu ringen. Die Geige üben muss man in 20 000 Stunden zumeist allein mit der Geige. Das geile Ensemblespiel gibt es auch, aber ohne das Alleine-Üben kommt man nicht ins Ensemble.
      Also: Es sind alle drei Aspekte beim Lernen beteiligt. Und nur, wenn wir sie auch unterscheiden können, können wir auch sicherstellen, dass sie alle genügend Raum bekommen.

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  9. Hallo
    Ich arbeite als Intranet-/Sharepoint-Consultant. Nach meiner Wahrnehmung gibt es kaum Überschneidungen in den Diskursen der IT-Fachleute sowie Spezialisten für Wissensmanagement im Intranet auf der einen Seite, sowie Fachleuten aus dem pädagogischen Bereich.

    Das finde ich ziemlich schade, denn ich lasse mich als Intranet-Consultant in letzter Zeit gern von Pädagogen inspierieren, z.B. zum Thema MOOCs. Beim lesen des Artikels ist mir aufgefallen wie sich die Modelle in den unterschiedlichen Disziplinen doch ähneln. Hier wird es PLN (mit Fokus auf Lernen) genannt, im Intranet wird z.B. 5i Modell mit Schwerpunkt Wissensaneignung genannt. Dieses 5i Modell ähnelt sehr Ihrem Modell: http://wp.me/pdWed-x4 Wichtig wäre dabei – und auch bei MOOCs im Intranet – dass es die Instrumente für das Sammeln, Teilen und Entwickeln längst auch im Intranet gibt.

    Viele Grüße

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  10. Vielen vielen Dank! Exzellenter Beitrag!!! Du bringst hier so vieles auf den Punkt, was ich selbst schon lange „irgendwie“ gedacht habe! Danke, Danke, Danke! Werden diesen Beitrag mit meinen Lehramtsstudenten „teilen“… und diskutieren…

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  16. Das Verarbeiten ist der Knackpunkt wie soll ich etwas verarbeiten geistig mein Eigen machen wenn es nur virtuell zur Verfuegung steht ?
    Da brauchen die Schueler Anleitung Quizze
    Aufsaetze mind maps erstellen usw

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    • Das Verarbeiten von Informationen zu persönlichem Wissen ist sicher ein Knackpunkt – ich möchte hier ja absichtlich nicht sagen DER Knackpunkt. Denn Verarbeiten geschieht ja auch nicht bloß alleine in der eigenen Gedankenwelt, sondern eben immer auch im und durch den Austausch mit anderen und deren Gedankenwelt und mit anderen Texten, Bildern, Videos zum Gegenstand. Aber eins ist richtig: Ohne die eigene Verarbeitung ist alles nichts. Das eben sieht man an den Nachbetereien von Vorgekautem, das in der Schule immer noch so viel Bedeutung hat.

      Ein Quizz ist eine Abfrage von Informationen aus dem Gedächtnis und zeigt, ob man jene memorieren kann oder nicht. Ich halte es nicht für ein Verarbeitungsverfahren, sondern für ein Evaluationsverfahren.
      Aber das Verarbeiten im Sinne von Durcharbeiten, Durchdenken, kritisch Hinterfragen, mit neuem Material Kontrastieren und Differenzieren, ein Denkmodell dazu entwickeln, zu einem eigenen länger haltbaren Urteil darüber gelangen und am Ende vielleicht sogar Rekonzeptualisieren eines Gegenstands braucht so viele verschiedene prozessorientierte Verfahren (z.B. Paraphrasieren, Zusammenfassen, Visualisieren, u.v. andere mehr), dass das ein neues Thema und einen eigenen Artikel wert wäre. Hier ging es um eine Übersicht der wichtigsten Aspekte einer Lernumgebung bzw. eines Lernnetzwerks.

      Deinen Einwand zur Virtualität verstehe ich nicht. Was hindert dich daran, aus einem Text, den Du am Bildschirm lesen und in entsprechenden Formaten auch digital bearbeiten kannst, genauso gut zu lernen, wie an einem Text, den du in der Hand hast? Auch das Buch ist eine Virtualität in dem Sinne, dass Du dir etwas von einem Menschen sagen lässt, der nicht anwesend ist. Aber seine Gedanken sind es, mit denen du dich auseinandersetzt. Genauso digital! Und wie ich finde im Internet sogar viel „realer“, lebendiger, z.B. im Hangout. ich kann mit den Autoren anderer Gedanken sprechen, mich austauschen, ihnen selbst mit meinen Gedanken neue Impulse geben. Da geht doch die Post ab und dazu brauche ich nicht mit ihnen am Kaffeetisch oder im Seminar sitzen.

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  17. Ohne auf den gesamten Dialog zum Artikel eingehen zu können, möchte ich zu einer Passage des Artikels nachfragen: Heißt „Mit einer solchen Persönlichen Lernumgebung (PLE) […] lässt es sich lebenslang selbststeuernd lernen und arbeiten. Das PLN ist dabei unter ständiger Rekonstruktion. Eine solche Lernumgebung ist die heute mögliche Lösung des Problems, dass jeder Mensch individuell und zugleich kollaborativ lernen muss, wenn er zu kreativen Leistungen fähig sein soll.“, dass man kollaborativ arbeitet, wenn man autodidaktisch Marx studiert. Kann es also tote Lernpartner geben?

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    • Die Frage erledigt sich doch durch genauere Lektüre des Artikels von selbst:
      „Lernen ist Dialog, Kommunikation mit anderen Menschen und mit den Artefakten (Produkten) Anderer. Diese Anderen können also auch schon Verstorbene sein, wie Kant, Goethe oder Hegel und Marx. Sie antworten nur leider nicht mehr.“

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    • Um es mal philosophisch zu sagen: Die Artefakte (also die Produkte der Menschen, und natürlich auch Bücher von Marx z.B.) sind historisch vergegenständlichte Tätigkeit (Arbeit) und Wissen. Gewissermaßen die versteinerten kulturellen Lebensäußerungen. Natürlich ist es eine reduzierte Sicht, wenn wir sie bloß als „Lernmittel“ sehen würden (typisch für Lehrer), anstatt als vergegenständlichte lebendige Kultur, die zu uns „spricht“. Wenn wir das nicht hätten, wären wir keine Menschen, und wir sind Menschen, indem wir uns diese Artekfakte aneignen und weiterentwickeln. Insofern ist alles (menschliche) Lernen gesellschaftlich.

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  18. Anders gefragt: Sind Lernpartner immer Partner in einem symmetrischen Dialog oder gibt es asymmetrische Dialoge? Wenn ja, haben in asymmetrischen Dialogen nicht stark unterschiedliche Rollen, so dass ich u.U. Geld dafür bezahlen oder fremde Hilfe (vielleicht auch staatliche) in Anspruch nehmen muss, um die Dialogpartner zu finden, die ich brauche?
    Kann man dann noch sinnvoll von Persönlicher Lernumgebung und Persönlichem Lernnetzwerk sprechen oder kann ich für soch ein Lernnetzwerk, wenn ich das nötige Geld nicht habe, auf Institutionen angewiesen sein?

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    • In einem PLN können ganz unterschiedliche „Lernpartner“ auftreten, von eher unbekannten Content-Anbietern bis hin zu hochangesehenen Institutionen wie MIT, Stanford, Harvard etc. Bei den Institutionen gibt es häufig eine Wahlfreiheit zwischen kostenfrei und kostenpflichtig, z.B. bei MOOCs, die einfach lernerisch verfolgt werden können oder kostenpflichtig zu einem Zertifikatserwerb genutzt werden können. Für die Kollaboration spielt dies grundsätzlich keine Rolle.

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      • Ja. Und dazu noch – und das ist ja das Interessanteste im Gegensatz zu den qua System festliegenden Rollen in der Schule: Die Rollen können wechseln. Nicht per Dekret oder Gnade oder Vereinbarung („jetzt machen wir mal LdL, haha, da sind die Schüler mal die Lehrer“). Sondern ganz automatisch der jeweiligen Situation und Funktion im Lernprozess folgend. Mal gibt einer was Orientierendes rein (in dem Moment ist er „Lehrer“), mal ein anderer. Es wechselt so häufig, und alle sind sowohl gebende („Lehrer“) als auch nehmende („Schüler“), dass es gar nicht mehr bemerkt oder gar benannt werden muss.
        Auch in einem guten Lernprojekt in der Schule, wo ein Projektleiter die Vorausplanung gemacht hat und strukturelle Vorentscheidungen getroffen hat, wechseln die Lernenden- und Lehrendenrollen in allen Phasen und ständig.
        Dies ist auch ein Grund dafür, warum die Schule sich so schwer tut, Projektlernen im Dewey- und Nachfolger-Sinn mehr als „ausnahmsweise“ und „randständig“ zum Normalinstruktionsunterricht einzubauen: Es untergräbt die Lehrerautorität als Besserwisser und Befehlsgewalt. Das verträgt das System nicht – jedenfalls nicht in der bisherigen Form.

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    • Mal nur zur letzten Frage: Wieso Geld? Das PLN in Zeiten der Digitalität ist potenziell unendlich groß und „kostet“ nur Netzzugang und Zugangsgerät. Alles, was in meiner möglichen erreichbaren Umwelt an Menschen und Artekfakten vorhanden ist, kann Teil meines PLN werden. Ein PLN in Zentralafrika ist demnach ganz anders kulturhistorisch begrenzt als meins. Das PLN gibt es doch auch nicht-digital, nur dass man es früher nicht so nannte. Begrenzungen zu erweitern gehört auch zu den Herausforderungen des digitalen Zeitalters.
      Und derzeit kann man PLNs neben den Bildungsinstitutionen bauen und pflegen. Was wohl passieren wird, wenn die Schule das PLN-bauen als Aufgabe erkennt und die PLNs ihrer Schüler in ihre Institution einbindet (anstatt sie zu ignorieren, zu missachten oder zu bekämpfen)?

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      • @Lisa Rosa Wenn alles “ in meiner möglichen erreichbaren Umwelt an Menschen und Artekfakten […] zu meinem PLN“ dazu gehören kann, sind also Lehrer, sofern ein PLN besteht, nicht mehr erforderlich. Oder habe ich etwas missverstanden?

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  19. Ja @apanat : Da hast Du missverstanden. Denn meine Lehrer (z.B. meine derzeitige Yogalehrerin, die ich mir selbst gewählt habe, oder ein Professor aus meinem Studium, der mir immer noch sehr wichtige Lernimpulse und -Hilfen gibt Lehrer ) gehören zu meinem PLN. (auch wenn sie nicht zum digitalen gehören, wie die Yogalehrerin!)
    Vielleicht hängst du sehr am „Lehrer“, wie er in der Schule systemdefiniert ist und wie du ihn selbst in der Praxis „gibst“? Ich meine mit Lehrer in unserem Diskussionszusammenhang einfach alle Menschen, von denen ich etwas lerne. Wir müssen also immer dazusagen, welchen „Lehrer“-Begriff wir grad verwenden.
    Aber warum reitest du so auf der Frage herum, dass ich meinen sollte (deiner Meinung) nach, die Lehrer würden verschwinden, nicht mehr gebraucht, gar abgeschafft? – ich habe niemals soetwas gesagt, und es ergibt sich auch nicht indirekt aus meinen Äußerungen!. Natürlich braucht es Lehrer! Aber wir könnten und müssten sie anders definieren und sie müssen andere Rollen als in der Schule bislang gewohnt, einnehmen, und sie müssen eine Menge andere und neue Kompetenzen haben.

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  20. Du schreibst:
    „Wir müssen also immer dazusagen, welchen “Lehrer”-Begriff wir grad verwenden.
    […]. Natürlich braucht es Lehrer! Aber wir könnten und müssten sie anders definieren und sie müssen andere Rollen als in der Schule bislang gewohnt, einnehmen, und sie müssen eine Menge andere und neue Kompetenzen haben.“
    Jetzt sind wir auf der richtigen Spur: Wenn ich ein PLN habe und mir meine Lernpartner aussuche, wobei wir uns gegenseitig mal als Lehrer und mal als Lerner gegenübertreten, dann ist der Lehrer ein Lernermöglicher, der Lernanregungen gibt, die ich nutzen kann oder nicht. Das ist eine neue Lehrerrolle, nicht mehr die des Lehrers, der von dem, was er weitergibt, so überzeugt ist, dass er dafür begeistert, auch wenn man dabei etwas lernt, was zunächst fremd und überflüssig erscheint, weil er Verständnishilfen gibt, dass einem die Augen geöffnet werden.

    Ob man die Erfahrung gemacht hat, dass es solche Lehrer gibt und dass sie eine wichtige Funktion haben, die durch ein Persönliches Lernnetz nicht erfüllt werden, macht den Unterschied aus, welche Rolle man einem Lehrer zuschreibt.
    Adorno – mir persönlich nicht gerade sympathisch – hat in den 50er Jahren des 20. Jh. die Rolle eines solchen Lehrers gespielt, der lange vor der Studentenrevolte einen maßgeblichen Teil der jungen Sozialwissenschaftler einen kritischen Blick gelehrt hat, den sie im Nachkriegsdeutschland im reinen peer-to-peer-Verhältnis ohne Lehrer seines Kalibers sehr viel schwerer hätten erwerben können.
    Zwar propagiere ich ein solches Schüler-Lehrer-Verhältnis nicht als das (!) richtige, aber ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass du es jedenfalls nicht propagierst? Oder habe ich dich jetzt immer noch falsch verstanden?

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    • Haha, du hast offenbar bisher ganz schön um den heißen Brei herumgeredet bzw dich an ihn herangeschlichen, scheint mir.
      Warum sollte ich denn etwas gegen mitreißende Lehrer haben? Die sind leider selten. Und sie reißen ja auch nicht alle Schüler mit, denn manche lassen sich nicht gerne mitreißen, sondern suchen ihre Gegenstände und Wege lieber selbst.
      Wie auch immer, Dein Diskussionsgegenstand ist das leidige „Lerne freiwillig und mit Begeisterung, was die Schule von dir zu lernen verlangt“. Das diskutieren wir so häufig, und hier, gerade in diesem Blogpost, passt es eigentlich meiner Ansicht nach gar nicht. Es geht hier mal um etwas anderes -eingangs hatte ich ja genau darauf Bezug genommen … 😉

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      • Da bin ich nun freilich missverstanden. Das ist freilich kein Wunder, denn über meine Erfahrung mit Lernen habe ich noch nicht geschrieben. Das werde ich demnächst – wie angekündigt – in meinem Blog tun.
        Nur eine Frage: Hat Adorno wirklich das gelehrt, was die Schule verlangte?

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      • Deine Frage: Adorno hat Studenten mit seinen Vorträgen konfrontiert. Niemand war gezwungen, bei Adorno zu hören. Ich bitte Dich, das ist doch nicht Schule.

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