Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt? – Systemtheorie für Lehrer: Helmut Willkes Grundzüge einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme

Willke, Helmut, Systemtheorie: Systemtheorie 2. Interventionstheorie: Grundzüge einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme, Stuttgart 2005Mein Ausgangspunkt für die Propagierung des Buchs von Helmut Willke sind zwei häufig von Lehrern beklagte Probleme, die nach der Lektüre besser zu verstehen sind. Und ein adäquates Verständnis von Problemen ist, wie wir wissen, die Voraussetzung für einen angemessenen Umgang mit ihnen.

Das erste Problem ist durch folgende Stichworte gekennzeichnet: Immer mehr „Risikoschüler“; immer mehr Schulversagen; immer mehr Schulangst (bei Schülern wie bei Lehrern, bei letzteren Burnout genannt); immer mehr Schulschwänzer; immer drängender die warnenden Stimmen aus Wirtschaft und Bildungsforschung, dass die Schule nicht (mehr) fürs Leben bilde. Und dies alles trotz mittlerweile 4 Jahrzehnte fortlaufender Reformbemühungen. Und dann das noch obendrauf: Knast für die schulschwänzenden 14-Jährigen als Therapie des Problems.  Und das bei gleichzeitigen Sparmaßnahmen und Kürzungen an verschiedenen Stellen des Bildungssystems. Irgendetwas läuft doch ganz offensichtlich dauerhaft und inzwischen schon generationenlang schief. Mancher möchte verzweifeln, weinen und laut schreien: „JA BEGREIFT IHR DENN GAR NICHTS?“

Und hier liegt das zweite Problem: Wer oder was ist „Schuld“ daran, dass alles beim Alten bleibt, obwohl man in vielerlei Hinsicht übereinstimmend weiß, wie es anders besser ginge? Oder anders: Was muss man tun, was bisher nicht getan worden ist, um endlich etwas Entscheidendes zu verändern? –

Diese Fragen sind im Dauerdiskurs seit Beginn meiner persönlichen Zeitrechnung, und (fast) immer wird in diesem Diskurs viel Zeit darauf verwendet, argumentierend zu entscheiden, ob es „DAS SYSTEM“ ist, das nichts taugt, oder die entsprechend fehlerhaften Personen oder Personengruppen, die „drin sind“. Mal sind es die faulen und unerzogenen Schüler, mal die „faulen Socken“ oder die „dummen“ oder „kinderfeindlichen“ Lehrer; mal sind es die verwöhnenden oder die ungebildeten Eltern, mal die „Herkunfts-Milieus“. Für andere ist es hingegen die Schulstruktur, oder es sind die veralteten Unterrichtsmethoden, die sich trotz der neuen hartnäckig behaupten; mal ist es auch das Schulsystem insgesamt und immer öfter auch einfach alles zusammen – irgendwie miteinander wechselwirkend.

Und entsprechend verschieden sind nicht nur die Lösungs- sondern auch die Strategievorschläge von „man kann nichts verändern“ über „jeder verändert etwas Kleines in seinem kleinen Umfeld“ bis hin zur großen Bildungsrevolution, die alles auf einmal shifted, switched und changed. Kann es mehr geben? Haben wir noch irgendetwas nicht versucht? Was haben wir übersehen? Irgendwo in diesem Haufen von Diagnosen, Therapien und Implementationsstrategien MUSS doch die richtige Lösung enthalten sein?

Jein. Denn während wir als Lehrer in einem Schulsystem arbeiten, das unter Lernen vor allem systematisches Lernen der von den modernen Wissenschaften abgeleiteten Realitätsmodelle und ihrer Begriffsapparate versteht, ist ausgerechnet das Verständniskonzept von der eigenen Tätigkeitswelt „Schule“ und das damit verknüpfte praktische „Lehrerhandeln“ meist einer bauchreflektierten Erfahrung überlassen. Denn was Schule ist, das weiß doch derjenige am besten, der jahrelang damit praktisch zu tun hat!
Bei all den Differenzen haben die verschiedenen Positionen in den oben genannten Diskursen tatsächlich etwas Entscheidendes gemeinsam: Sie entstehen im Austausch und in der Reflexion von Praxiserfahrungen der Akteure, seien es Lehrer, Schulleiter, Schuladministratoren oder Eltern. Nicht zu vergessen die Massenmedien, in denen diese Positionen als Erfahrungen seit einigen Jahren ständig abwechselnd publiziert und damit immer wieder bestätigt werden. Als Wissenschaftler dazu gebeten werden dann Neurobiologen, Didaktiker, Pädagogen, Psychologen – Experten im Feld, die auch entweder diese oder jene Positionen bedienen.

Lehrer, Schüler, Eltern sind Experten von Schule. Sie erleben sie am eigenen Leib. Ja. Erfahrungswissen ist in vielen Fällen richtig und allemal besser als irgendwelche Erfindungen vom grünen Tisch.

Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man nicht alles – und manchmal eben sogar das Entscheidende – nicht sehen kann, wenn man zu nah dran ist oder sogar mittendrin steht. Nicht alles kann man mit Erfahrung und dem „gesunden Menschenverstand“ verstehen, obwohl selbst jener eine handfeste Ahnung des Problems in der Metapher hat, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Denn genauso ist es. Mehr Abstand ist nötig. Das bedeutet erkenntnistheoretisch: eine höhere Abstraktionsstufe. Und wir müssen gleichzeitig raus aus dem didaktisch-methodischen, und sogar aus dem pädagogischen Selbstgespräch und uns das ganze Geschehen aus Sicht der Gesellschaftstheorie anschauen.
Die Soziologie, und dort die moderne Systemtheorie hat einen anderen Blickwinkel bzw. einen allgemeineren Gegenstand, in dem gleichwohl unsere Schüler, Kollegen, Schulen und Bildungswesen enthalten sind. Sie kann uns helfen zu verstehen,

  • warum trotz unserer langjährigen Unterrichtserfahrung, ausgefeilter didaktisch-methodischer Konzepte viele Schüler oft nicht das lernen, was wir (!) möchten, oder es nicht so gut lernen, wie sie sollten;
  • warum trotz all unseren Engagements die Schüler zum Lernen zu motivieren, insgesamt immer weniger Schüler Lust auf Unterricht haben und die Absentismuszahlen sowie die ADHS- und Depressions-Diagnosen steigen;
  • warum selbst gute Schüler heilfroh sind, wenn sie den Laden endlich hinter sich haben und das „wirkliche Leben“ beginnen können;
  • warum immer mehr Lehrer die Pensionsgrenze nicht im Amt erreichen und immer mehr Lehrer Teilzeit arbeiten, wenn sie es sich finanziell leisten können, auch wenn sie keine Kinder zu versorgen oder Eltern zu pflegen haben;
  • warum immer mehr Lehrer nach Jahren unterschiedlicher Reformbemühungen resignieren, zynisch werden, aus dem Beruf aussteigen, an eine Privatschule wechseln oder eine solche gründen;
  • warum immer mehr Eltern sich große Sorgen um die psychische Gesundheit und den Lernerfolg ihrer Kinder machen müssen, obwohl sie zuhause alles tun, um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen;
  • warum, obwohl pausenlos an diesen Problemen entlang gedacht, konzipiert und administriert wird, statt Besserung sogar Verschlechterung eintritt;
  • warum das Beharrungsvermögen des Alten überall so groß ist, obwohl doch die Spatzen schon so lange von den Dächern pfeifen, wie es besser ginge;
  • warum neue Konzepte hier funktionieren, dort aber nicht;
  • warum die meisten Reformen nicht bringen, was man sich von ihnen erhofft;
  • warum DAS SYSTEM eine so unglaubliche Starre an den Tag legt;
  • warum (Um-)Lernen so schwer ist;
  • unter welchen Bedingungen (Um-)Lernen trotzdem möglich ist;
  • was wir dafür tun können, damit diese Bedingungen eintreten;

und last not least

  • welche Bedeutung Personen in Systemen einnehmen, welche Macht sie haben und welche nicht.

DENN WIR MÖCHTEN JA, DASS SICH ETWAS ÄNDERT! Die Schüler sollen sich ändern und (besser) lernen, also bessere Schüler werden. Die Schule, an der wir arbeiten soll sich ändern und zu einem befriedigenden Arbeitsplatz werden. Das Schulsystem soll sich ändern und ein besseres Bildungs“wesen“ werden, in dem die Probleme nicht mehr auftauchen, unter denen alle irgendwie leiden. Als Lehrer, Lehrerbildner, Schulentwickler wollen wir Änderungen herbeiführen, die wir für notwendig und richtig halten, indem wir „intervenieren“, zumindest versuchen wir solche Interventionen. Und die unbefriedigenden Ergebnisse unserer Änderungsversuche durch Intervention – sei es beim einzelnen Schüler, sei es bei unseren Kollegen, unserer Schule oder beim „Bildungswesen“ (das wir dann meist erst DAS SYSTEM nennen), die sind hier zu erklären.

Eine Leseprobe

„Selbst ein Kind kann die Spielregeln von Schach oder Go ziemlich schnell lernen. Aber es wird viele Jahre und erhebliche Mühe kosten, bis es eine gute Schachspielerin oder ein guter Gospieler geworden ist. In diesen Beispielen ist uns ohne weiteres klar, dass die souveräne Beherrschung eines Spiels zwei Stufen von Voraussetzungen hat: der Spieler muss die Spielregeln kennen – das ist die Grundvoraussetzung. Erst danach beginnt die eigentliche Kunst, innerhalb des von den Spielregeln vorgegebenen Rahmens Spielstrategien zu entwerfen, in denen die Restriktionen und Möglichkeiten des Spiels auf immer wieder überraschende und innovative Weise genutzt werden, um zu gewinnen.

Übertragen wir diese Metapher auf moderne Organisationen, d.h. auf Organisationen im dynamischen und hochkomplexen Umfeld moderner Gesellschaften, dann ist eine bestürzende Einsicht nachgerade unvermeidlich: Jederman [sic] und jedefrau, am nachdrücklichsten sogar die Betroffenen selbst, erwarten von Managern, Organisationsberatern, Aufsichtsräten, Projekt- oder Unternehmensleitern brilliante [sic] und erfolgreiche Strategien in einem Organisations-Spiel, dessen Regeln diese Akteure kaum kennen. Komplexe Organisationen wie etwa Unternehmen, [ergänze: Schulen], Forschungsinstitute, Entwicklungshilfeeinrichtungen oder politische Institutionen machen den zweiten Schritt vor dem ersten, weil sie annehmen, sie hätten die Regeln des Spiels schon verstanden. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum. Sie spielen immer noch ‚Mensch-ärgere-dich-nicht‘ oder bestenfalls ‚Dame‘, während das Spiel sich bereits zu einem mehr-dimensionalen Schach transformiert hat. Schlimmer noch: Betrachtet man die gegenwärtige Lage genauer, so erweist sich, dass in vielen Hinsichten gar nicht klar ist, welches Spiel überhaupt gespielt wird und welche Regeln gelten sollen.“ (175)

Die Leseprobe steht hier nicht nur ihres nützlichen Inhalts wegen. Sie zeigt auch, dass „hohe Theorie“ weder praxisfern noch unverständlich präsentiert werden muss. Helmut Willkes Bücher zeichnen sich genau dadurch aus, dass sie auf vorbildliche Weise die von Praktikern als sperrig und abgehoben verschriene moderne Systemtheorie anschaulich und gut verständlich erläutern. Und dies ohne dabei durch Simplifizierungen die Komplexität dieses Erklärungsmodells menschlicher Praxis (denn das ist sozialwissenschaftliche Theorie) zu verfälschen bzw. zu trivialisieren. Das ist m.E. eine Kunst, die nur ganz wenige in Deutschland beherrschen.

Ein zweiter Vorzug des Buches: Es stellt grundlegende Voraussetzungen zu seinem eigenen Verständnis im ersten Teil bereit. Das bedeutet: Man bekommt ein basales Verständnis systemtheoretischen Denkens mitgeliefert, wenn es um die Anwendung dieses Denkens auf das spezielle Feld „Intervention“ geht. Es ist also nicht unbedingt nötig, Willkes „Systemtheorie I“ gelesen zu haben, bevor man sich an diesen Band macht. Und im zweiten Teil der „Bereichsstudien“ wird dann immer so viel aufbauendes und vertiefendes Theoriewissen entfaltet, wie zum Verständnis der Praxisbeispiele jeweils gerade nötig ist.

Soviel zur Formseite der Form-Inhalt-Medaille meiner Begeisterung.
Aber jetzt zum Inhalt: Was gibt es bei Willke für Lehrer zu holen?

1. Wir bekommen einen Anstoß, eine Anleitung, eine Verführung zum Umdenken. Wenn unser bisheriges Verständnis ja offenbar weder ausreichte, um erfolgreich zu lehren, zu entwickeln, zu intervenieren, noch dafür, wenigstens ausreichend zu erklären, warum nicht, – dann können wir uns dieses Verständnis mit Willke mal vorknöpfen:

In der Regel handeln wir in Schule und Erziehung immer noch auf Basis der Vorstellung, dass sowohl unsere Schüler (Menschen, denen wir etwas „beibringen“ wollen) als auch unser Arbeits“platz“ (im weitesten Sinne Ort unserer Lehrtätigkeit) berechenbare „Trivialmaschinen“ sind, die wir mit Informationen (Daten, Argumenten, Urteilen, Anweisungen) füllen (Input) und dafür von ihnen ein wenigstens im Groben vorhersagbares Ergebnis erhalten (Output). Natürlich klappt das nicht immer, wie wir häufig erfahren müssen. Aber wenn das tatsächliche Ergebnis nicht unseren Erwartungen entspricht oder das Objekt unserer Bemühungen nicht wunschgemäß reagiert, dann erklären wir entweder die „Trivialmaschine“ (den Schüler, die Kollegin, die Schule, das System) für fehlerhaft, oder aber wir meinen, nicht genügend oder nicht mit den richtigen Methoden unseren Input verabreicht zu haben. Und dann beginnt das Spiel der Appelle, Mahnungen und Sanktionen bzw. der Wiederholungen, Intensivierungen und methodischen Variationen. Diese Abfolge von > Ergebniserwartung > „Unterrichten“ > Enttäuschte Erwartungen > Bestrafung bzw. optimiertes „Unterrichten“ (je nach Diagnose der Ursache) können wir bis an unser Lehrerlebensende fortsetzen und uns immer mehr darüber ärgern, wie wenig wir eigentlich bewirken. Wenn wir unsere Ohnmachtserlebnisse dabei nicht genießen, können wir stattdessen mal Folgendes probieren:

2. Wir können den üblichen Verständnisrahmen – versuchsweise und vorübergehend – weglegen und mit einem systemtheoretischen Rahmen vertauschen. Nur mal gucken, wie die Dinge in diesem für uns ungewohnten Rahmen dann aussehen:

Wir betrachten dann Menschen als „psychische Systeme“ und Gruppen (die Klasse, das Kollegium) sowie Organisationen (die Einzelschule) und Behörden (das Bildungssystem) als „soziale Systeme“.

Die Beispiele in den anschaulichen Bereichsstudien Wilkes, die den Hauptteil des Buchs ausmachen, betreffen Therapie (psychisches System), Organisationsberatung (soziales System auf Ebene der Organisation mit vorwiegend Beispielen aus Unternehmen) und Politik (soziales System auf der Ebene gesellschaftlicher Subsysteme). Damit kommen Schüler, Schule, Bildung zwar explizit nicht eben häufig vor. Aber die Parallelen drängen sich in meinen Augen förmlich auf und die Erkenntnisse aus den Beispielen sind leicht zu übertragen. Und durch die Transferbemühungen – wir Lehrer kennen das – lernen wir die Theorie besser zu verstehen.

3. Was erfährt man über die Eigenschaften lebender Systeme?

  • Sie sind nichttriviale, komplexe Systeme. (Zu komplex für einen einfachen Input-Output-Mechanismus.)
  • Sie organisieren ihre Komplexität mit einem eigenen selbstgebildeten basalen Operationsmechanismus. (Sie sind keine Kopie von irgendetwas, sondern autonom – nicht autark!)
  • Sie sind operativ geschlossen – anders könnten sie ihre Identität nicht bewahren, sondern würden sich in ihre Umwelt hinein auflösen und dabei selbst vernichten.
  • Sie haben neben der operativen Geschlossenheit des basalen Operationsmechanismus auch eine partielle Öffnung in die Systemumwelt, einen Anpassungsmechanismus, einen Lernmodus, mit dem sie aus dem Chaosrauschen ihrer jeweiligen Umwelt(en) Informationen ausfiltern und weiter verarbeiten. Welche Informationen auch immer es sind, und mit welchem Ergebnis auch immer sie weiterverarbeitet werden: Sie können immer nur nach den systemeigenen Regeln ausgewählt und verarbeitet werden! – Das System reproduziert sich auf diese Weise selbst und erhält sich am Leben.
  • Dabei muss es auch systemirritierende Reize verarbeiten. Es muss auch die Möglichkeit haben zu entscheiden, sich selbst zu ändern, um auch in veränderter Umwelt bestehen zu können. Das System muss also sich selbst ändern (können) bei gleichzeitiger Beachtung bzw. auf der Basis seiner eigenen (bisherigen) Systemregeln.
  • Die Bedingung für Änderung (Lernen) ist also: Das System muss sich ändern und gleichzeitig identisch bleiben. Dieses Paradox lässt sich nur auflösen durch Temporalisierung, d.h. in einem stufenweisen Prozess. Etwas bleibt gleich, etwas wird verändert. Nach und nach kann das ganze System sich verändern und dabei identisch (unzerstört) bleiben. Wir müssen dafür unterscheiden zwischen Struktur und Prozess. Aus Sicht der Prozessebene ist dann Identität tatsächlich eine dauernde Abfolge von veränderten Identitäten.
  • Jedes einzelne System hat also einen wirklich einmaligen „Mechanismus“, nach dem es „tickt“, den es selbst entwickelt, den es selbst steuert und den es nur selbst ändern kann.

Was daraus für unsere Lehr- bzw. Interventionstätigkeit folgt, damit sie erfolgreich sein kann, liegt auf der Hand: Wir Lehrer treten sowohl den psychischen als auch den sozialen Systemen, mit denen wir es zu tun haben, auch selbst als ein (psychisches) System entgegen und sind für sie, die ihrerseits für uns Umwelt(en) sind, deren Umwelt. Heißt: Nur, wenn es uns gelingt, mit unseren „Interventionen“ Anschluss an die Operationsmechanismen der psychischen Systeme, in die wir intervenieren wollen, zu finden, können sie das, was wir „rüberbringen“ wollen, verarbeiten. Wir müssen also Anschluss finden an jeden einzelnen Schüler. Diese aber kennen wir in Wirklichkeit nicht, zumindest weniger, als wir immer glauben, und wahrscheinlich nicht bezüglich ihrer persönlichen systemeigenen Operationsweise.

Das klingt so banal. Und deswegen wird die Konsequenz dieser Erkenntnis in ihrer ganzen Tragweite eben meist gar nicht erfasst. Denn selbst konstruktivistische Lerntheorien reduzieren die Anschlussfrage immer auf den Inhalt des Lernstoffs und beziehen sich nicht auf den gesamten operativen Mechanismus des Lebensvollzugs des Lernenden, denn auf der konkreten Ebene lässt er sich wegen seiner Komplexität und seiner Individualität ja gar nicht kennen. D.h. sie beschäftigen sich nur mit der Seite des Lebens und Lernens, die mit dem „Kerngeschäft“ der Schule zu tun hat. Dabei trivialisieren sie das Anschlussproblem hinsichtlich der psychischen Systeme, mit denen sie es zu tun haben. Andererseits bekommen sie Anschluss an die Operationsweise des Systems Schule mit ihrem Unterricht. Das „Vorwissen“ der Schüler abzufragen, um daran sinnvoll mit passendem Unterricht anschließen zu können, ist inzwischen üblich. Oder: Die Vorstellung, dass die Schüler „missconceptions“ als mentale Modelle mitbringen, die durch bessere „conceptions“ ersetzt werden. Oder: Es wird eine „Diagnose“ oder eine „Lernstandserhebung“ durchgeführt und mit Lernmethoden oder Stoff daran angeschlossen: „Dieser Schüler muss mehr jenes üben, weil dieses die Voraussetzung für jenes ist und er dies noch nicht kann.“ Das „psychische System“ wird reduziert auf den Teil „Umgang mit schulischen Stoffen“. Es wird vorausgesetzt, dass der Schüler tut, was er soll. Aber warum sollte er?

Das Ganze und nicht nur ein Teil des operativen Mechanismus zu beachten heißt aber vor allem, dass die „innere Zustimmung“ der Schüler zum Lernen des verordneten Stoffes und zu der Art und Weise, wie er gelernt werden soll, entscheidend ist. Und genau dies Entscheidende ist in aller Regel gar nicht Gegenstand der schulischen Wirklichkeit. Denn Schule als soziales System hier und heute (also konkret historisch) setzt diese Zustimmung per Dekret als gegeben voraus und bildet ja auch hier genau sein eigenes Systemparadox. Denn zum erfolgreichen Lernen muss die „innere Zustimmung“ aus dem (psychischen) System kommen. Zur Systemerhaltung der Schule als soziales System, wie es gerade ist, müssen die Schüler jedoch gezwungenermaßen anwesend sein. Erfolgreiches Lernen in der Schule müsste aber streng genommen sogar von jedem einzelnen Schüler zu jedem Zeitpunkt konkret „die Zustimmung einholen“. Denn nicht das lernende System muss Zustimmung, also Anschluss herbeiführen. Sondern die „Ansage“ aus der Umwelt (psych. System Lehrer) muss den Anschluss an den einzelnen Operationsmechanismus (des psych. Systems Schüler) in seinem jeweiligen Status finden. Denn alles, was nach dessen Kriterien nicht „passt“, also so irritierend ist, dass es nicht verarbeitet werden kann, wird entweder ignoriert oder abgewehrt.

Wenn wir so gerne sagen, dass wir die Schüler „da abholen“ müssen, wo sie sind, dann trifft das insofern den Kern der systemtheoretischen Erklärung für gelingende Intervention, als es die gesamte Person, das ganze einzelne „psychische System“ und seine Existenz betrifft. Als erstes ist für die Anschlussfähigkeit des intervenierenden Systems also unabdingbar, das zu intervenierende System in seiner Autonomie und Integrität zu respektieren.

Das System Schule arbeitet jedoch regelmäßig mit „linearer Intervention“. Das sind im Fall Unterricht vor allem vorgegebene Curricula, Belehrung, Fremdbewertung, Drohung, Sanktionen. Sie stammen in der Regel aus der Logik der Systemumwelt der Schüler und nicht aus der Logik ihrer eigenen Systeme. (Schulen, die hohe Schülerbeteiligung in allen Fragen haben – also auch in Fragen der Schulregeln und deren Einhaltung – wie etwa die Sudburry-Schulen haben diese Lektion gelernt und bieten hohe Anschlussfähigkeit zwischen dem sozialen System und den psychischen Systemen.)

„Lineare Intervention arbeitet gegen das System, um es zu seinem Glück zu zwingen, während paradoxe Intervention mit Hilfe des Systems eine neue Identität des Systems generiert. Lineare Entwicklung [z.B. in der Schulentwicklung] verlängert die Misere der Gegenwart in die Zukunft, weil sie einer ‚Logik des Mißlingens‘ folgt, die in der Konfrontation einfacher Modelle mit komplexen Realitäten nicht zu vermeiden ist. Systemische Entwicklung dagegen setzt auf die Anstrengung adäquater Modellierung und die Leichtigkeit selbstgewählter Veränderungspfade. Sie nimmt zur Kenntnis, dass im ‚Normalfall‘ die Lösung das Problem ist und verwendet deshalb enervierende Sorgfalt auf die Rekonstruktion des Problems. Ihre Lösungen zielen nicht auf eine Trivialisierung des Problems, sondern darauf, sich geradezu von selbst zu empfehlen, wenn erst einmal Kontext und Komplexität des Problems deutlich geworden sind.(188)

Wenn wir aus dem deutschen Schulsystem gebetsmühlenartig zu hören bekommen, dass wir nicht Finnland seien, und uns darum auch kein Beispiel an Finnland nehmen könnten, dann liegt die systemtheoretische Erklärung in der Angst um die Identität und damit das Weiterbestehend des eigenen deutschen Systems. Die Finnen übrigens, die natürlich dieselbe Systemparadoxie in ihrem Bildungssystem haben, gehen anders mit ihr und mit ihren Schulschwänzern um. Die Lehrer bemühen sich um sie, besuchen sie zuhause, versuchen die Schüler wieder zum Schulbesuch anzuregen, zu verführen, zu überreden. Wenn das nicht gelingt, dann lassen sie sie. „Lassen“ ist keine spezifische Operationsweise des deutschen Schulsystems. Aber in einer erweiterten Systemidentität, die sich als lernendes System verstehen könnte, könnte „Lassen“ in den Pool der Operationsweisen aufgenommen werden, ohne die Identität des deutschen Systems zu zerstören, oder nicht? Denn:

„Für nichttriviale Systeme ist Identität nicht gegeben sondern aufgegeben; und Veränderung ist der Modus einer Kopplung von System und Umwelt, in welcher das System seine operative Schließung nutzt, um aus Umweltereignissen Bedeutungen zu konstruieren, die ihm eine Fortsetzung seiner Existenz im Kontext laufender Veränderungen ermöglichen.“ (140)

Wie lernen eigentlich soziale Systeme, also Organisationen (eine Schule) oder gesellschaftliche Subsysteme (das Bildungswesen)?

Zwar lernen Organisationen, indem die an ihnen beteiligten Personen lernen. Aber das Lernen der Organisation ist nicht mit dem Lernen dieser Personen identisch. Und mehr noch:

„When placed in the same system, people, however different, tend to produce similar results“ zitiert Willke Pete Senge und erklärt: „Organisationen (…) sind die Mythen der Moderne. Sie haben ‚hinter dem Rücken der Akteure‘ in ihren Spezialsemantiken und den darin eingebauten Erwartungs- und Entscheidungsmustern eigenständige Realitäten erzeugt, die nicht mehr allein auf die Handlungen von Personen zurückführbar sind.“ (159)

Soziale Systeme bestehen entgegen der üblichen Alltagsannahme nicht aus Personen, sondern aus Kommunikationen, an denen die Personen teilnehmen.

Das lässt sich leicht klarmachen, wenn wir uns vorstellen, dass eine Schule im Wesentlichen dieselbe bleibt, auch wenn ihre Schülerschaft und das Kollegium, bzw. die Schulleitung in ihren Personen einem ständigen Austausch unterliegt.

Das Bemerkenswerte dabei ist, dass die Macht dieser Kommunikationsweisen vom System verborgen und Zustände oder Prozesse auf die Merkmale einzelner Personen oder Personengruppen reduziert werden. („Der Lehrer, der Burn out bekommt, hat halt kein professionelles Zeitmanagement gekonnt oder war schon immer labil“; „der Schüler, der beim Abitur durchgefallen ist, hat nicht genug ‚gelernt‘“;„diese Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern machen mir den Unterricht kaputt“; „die meisten Lehrer sind heutzutage faule Socken oder unfähig“.) Auf der einen Seite gibt es in sozialen Systemen die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ (Ulrich Beck)  – ich denke sofort an Fukushima, weil ich nicht schon wieder an Eichmann denken will. Auf der anderen Seite ist „die Suche nach „Schuldigen“ nach wie vor eine Suche nach schuldigen Personen.“ (154)

Und ja: „Auf der anderen Seite ist immerhin nicht ausgeschlossen, dass Personen einen Unterschied ausmachen. Sie tun dies, indem sie – und nur indem sie – Regeln und mithin Strukturen und mithin Erwartungen und mithin Wirklichkeiten verändern oder neu schaffen. Dieses Veränderungspotenzial von Personen ist umso ausgeprägter, je stärker Personen unterschiedlichen Referenzrahmen ausgesetzt sind (oder in den Begriffen der Rollentheorie: je vielfältigere Rollenaspekte sie bündeln und in Rollendivergenzen und Rollenambiguitäten aushalten können). Dies ist einer der Gründe, warum „job rotation“ oder Mehrfachqualifikationen von Mitgliedern in komplexen Organisationen unabdingbar für organisationale Lernprozesse werden.“ (153)

„Tatsächlich läuft die Veränderung von Organisationen (…) darauf hinaus, nicht Personen zu verändern, sondern die in den Organisationen geltenden Regelsysteme. (…) Die Kunst der Organisationsberatung ist die Kunst des Auswechselns von Regeln für das Machen und Verstehen von Entscheidungen. (…) Auch diese Formel besagt nicht, dass Personen irrelevant wären. Sie können nicht irrelevant sein, da es Personen in ihrer Rolle als Organisationmitglieder sind, die Entscheidungen machen und verstehen müssen. Aber sie machen und verstehen diese Entscheidungen nach Regeln, die von den Personen ‚abgezogen‘ und in der Systemstruktur zugleich auf Dauer und auf Kontingenz (d.h. auf Veränderbarkeit durch Entscheidung) gestellt sind. (…) [So] machen nicht Lehrer und Schüler eine Schule, sondern die Schule organisiert sich Lehrer und Schüler so, dass das Regelsystem ‚Schule‘ ablaufen kann.“ (155)

Peter Senge, der Autor der „5. Disziplin“ einer lernenden Organisation kommt bei Willke ausführlich zu Wort. Hier sind seine Interventionsregeln, über die man als Lehrer, Fortbildner, Schulentwickler hinsichtlich der Gültigkeit für die eigene Praxis meditieren kann:


28 Gedanken zu „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt? – Systemtheorie für Lehrer: Helmut Willkes Grundzüge einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme

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  3. Lisa, Danke für Deine sehr anschauich dargestellte andere Perspektive auf Lernen als selbstgesteuerte Reaktion von autonomen Systemen auf Einfüsse aus ihrer Umwelt. Das sich autonome Systeme abgrenzen müssen, um weiter als Individuum bestehen zu können, macht auch deutlich, dass gleiche Anforderungen für alle, eigentlich der falsche Weg sind.
    Ganz besonders angesprochen hat mich Deine letzte Überschrift, das Systeme nicht aus Personen bestehen, sondern aus Kommunikationen, an denen Personen teilnehmen. Dem entsprechend müssten wir auch nicht die Personen bewerten, sondern die Kommunikation im System. Und das gilt für Schule ebenso, wie für jede andere Organisation auch. Ergebnisse oder Produkte einer Organisation sind dann ebenfalls die Folge von Kommunikationen in dieser Organisation. auch das kann indirekt Maßstab für Kommunikation sein – und nicht für einzelne Personen.
    Danke für die Anregung.

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      • Das ist wirklich eine interessante Frage. Wenn die Kommunikationsqualität das mehr oder weniger gute Wirken einer Organisation bestimmt, dann müsste man es an den Ergebnissen erkennen können. In Unternehmen ist das der Markterfolg, den man mit den erstellten Produkten erzielt. Vielleicht müssten wir uns Schule auch als eine für die Gesellschaft produzierende Organisation vorstellen, deren nutzbare Ergebnisse mehr oder weniger Anwendung finden in dieser Gesellschaft. Ich meine jetzt nicht die Einzelqualifikationen der Schülerinnen und Schüler, sondern eher konkrete Leistungen oder Produkte, die das System Schule als Ganzes erzeugt und der Gesellschaft zur Verfügung stellt. Also, warum sollte Schule nicht auch an Alltagsproblemen forschen, und neue Lösungen dafür entwickeln?
        Möglicherweise könnte Akzeptanz und Anzahl solcher Lösungen ein Maß für die Qualität des Systems Schule – und damit für die interne Kommunikationsqualität sein. Und das Schülerinnen und Schüler dabei ganz viel lernen, davon bin ich überzeugt.

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  4. Danke für den anregenden Text!

    Ich würde gerne noch eine kurze Ergänzung von Luhmann selber einfließen lassen, die ich bisher für das Problem der operativ geschlossenen Systeme im Interaktionsgeschehen „Unterricht“ als hilfreich empfunden habe.

    Es ist das Modell der „taktvollen Kommunikation“, das Luhmann in seinem Buch „Schriften zur Pädagogik“, suhrkamp 2004, im Kapitel „Takt und Zensur im Erziehungssystem“, S. 245 ff. andeutet.

    Er beschreibt das Unterrichtsgeschehen als ein Paradox von Kausalität und Freiheit, bei dem zwei geschlossene Systeme aufeinander stoßen. Dieses Modell fällt der Pädagogik jedoch schwer, da in ihrer Selbstbeschreibung ja das eine System dem anderen System durch „Anleitung“ eine Form von „Freiheit“ ermöglichen soll.

    Bei der „taktvollen Kommunikation“ geht es um den Versuch, Einfluss zu nehmen (auf die Freiheit einzuwirken) ohne die freie Selbstbestimmung öffentlich in Frage zu stellen, also das Grundparadox der Erziehung zu tarnen. Das Problem ist, dass taktvolle Kommunikation als solche erkennbar ist und man daher selber entscheiden kann, sich an ihr zu beteiligen oder sich gegen sie zu stellen.

    Auf die Schule bezogen: Im Interaktionssystem Unterricht reagieren die Schüler scheinbar auf die Anforderungen des Lehrenden und lassen sich auf das Spiel des richtigen und falschen Wissens ein. Dahinter geht es aber auch bei den Schülern um Selbstdarstellung: das Vorführen positiver und Verdecken negativer Leistungen. „Und dieses ‚Können‘ scheint denn auch das zu sein, was man in der Schule fürs Leben lernt“.

    Weitere Notizen:
    http://www.edushift.de/2010/09/19/uber-die-freiheit-im-interaktionssystem-unterricht/

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    • Super! Danke für die Ergänzung. Ich hatte ganz vergessen, dass Du auch schon mal was dazu gemacht hattest. Aber so ist es ja auch wieder da 😉

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  5. Zweiter Versuch eines Kommentars.

    Vielen Dank für diesen Artikel, der Einblick in deine ja so häufig betwitterte Lektüre gibt. Ich hatte mir den Willke schon einmal angeschaut, war aber angesichts der Aussicht auf ein Grundstudium Systemtheorie doch etwas zurückgeschreckt. Wenn man den zweiten Band auch ohne den ersten versteht, dann wäre es ja vielleicht doch einen zweiten Blick wert…

    Ich beschreibe mal einfach meine subjektiven Lektüreeindrücke. Mir gefällt gut, wie du die Problemlage darstellst, diese vielen „warums“ begegnen mir ja immer wieder, jedoch betrachtet man im Alltag (nicht abstrakt) jedes für sich.
    Die Erläuterung der Eigenschaften „psychischer Systeme“ fand ich etwas befremdlich, ich habe mich gefragt, ob es da wirklich um Menschen oder um Roboter geht, wenn du vom „basalen Operationsmechanismus“ schreibst oder von einer „partiellen Öffnung in die Systemwelt“, das klingt mir zu mechanistisch, zu sehr nach USB-Anschluss. Der Mensch erscheint hier nicht mehr als Mensch, das macht mir die Einnahme dieser Perspektive wenig angenehm. Schön wiederum ist die Erkenntnis, dass wir als Lehrer keine Wissensvermittler, sondern eher Türöffner, Wegweiser sein sollten,da wir Wissen nicht einfach „verpflanzen“ können (jetzt fange ich hier schon mit biologistischen Metaphern an…). Das wirft natürlich gleich die Frage auf, wie man es erreichen kann, „psychische Systeme“ zur „inneren Zustimmung“ zu bewegen und ob man das überhaupt sollte.

    Gut gefällt mir auch die Quintessenz, die du zum Schluss zitierst: „[So] machen nicht Lehrer und Schüler eine Schule, sondern die Schule organisiert sich Lehrer und Schüler so, dass das Regelsystem ‚Schule‘ ablaufen kann.“
    So, aus der Vogelperspektive, habe ich das noch nicht betrachtet und hier kommt man wirklich schnell ins Grübeln, welche (Spiel-)Regeln man wie verändern müsste.

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    • Ja, die Befürchtung, das Menschliche würde nicht beachtet, kenne ich. Aber sie hat sich bei mir dann schnell als gegenstandslos herausgestellt, als ich mich vor ein paar Jahren näher mit der Systemtheorie beschäftigt habe. Ich glaube, dass diese Vorstellung daher kommt, dass man aus Alltagsgewohnheit solche Wörter wie „Mechanismus“ und „Operieren“ im Zusammenhang mit Maschinen assoziiert. Aber andererseits käme man nicht unbedingt auf die Idee, sich von einer Maschine operieren zu lassen anstatt von einem Chirurgenteam, das die Maschinen, die es zum Operieren benutzt, steuert.

      Und als ich dann etwas mehr mit der Systemtheorie Freundschaft schloss, dann lag es genau daran, dass sie sich mir erklärte als eine, die ganz besonders respektvoll mit dem einzelnen Menschen umgeht. In die Theorie ist ja der Gedanke eingebaut, dass der Mensch (als einzelnes Wesen wie als Gattung) sich in gewissem Sinne selbst erschafft, indem er seinen eigensinnigen psychischen Lebensvollzugs-Apparat/Mechanismus/ selbst produziert, in Abhängigkeit, aber nicht determiniert von seinen Umwelten! Ich wüsste keinen Begriff, der nicht äußerlich an Maschine erinnert. Aber die Systemtheorie verwechselt keinesfalls lebende Systeme mit Maschinen. Und soviel Autonomie wird dem Menschen in keiner anderen Theorie „zugestanden“ – außer im (nicht vulgären) marxistischen Menschenbild.

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  6. Wie Karlheinz schon dargestellt, findet die Systemtheorie zurzeit vor allem in Beratungsprozessen in der Wirtschaft Anwendung. Dort bedient man sich Methodiken und Fragetechniken der systemischen Beratung, in die ich zurzeit eine kleine, praktische Einführung bekomme. Die Intention dabei ist sehr salopp gesagt, dass Fachberatung, wie ich sie vor allem im technischen Umfeld mache, viel fruchtbarer ausfallen kann, wenn man auch über Werte und Intentionen z.B. bei der Anschaffung von Geräten im Bereich des mobilen Lernens macht und nicht „einfach mal kauft, weil es modern ist oder alle anderen es auch machen“. Dabei geht es vor allen Dingen auch um den einzelnen Menschen – trotz offenkundig vorhandener „mechanistischer“ Termininologie. Wir werden dabei von Trainern angeleitet, die über sehr viel Erfahrung und Expertise in der Systemtheorie verfügen. Diese kann in der Tat hilfreich sein und ist es bereits bei meiner momentanen Arbeit. Meine anfängliche Euphorie (das mir…) hat sich in der praktischen Umsetzung etwas gelegt – das deckt sich mit den Erfahrungen unserer Trainer, die im schulischen Umfeld lange mit diesem Ansatz gearbeitet haben und dies jetzt nur noch partiell oder gar nicht mehr tun (im Schulrahmen arbeiten). Generell halte ich die Interventionstechniken der Systemtheorie für geeignet, Transformationen zu begünstigen, sehe aber an mir selbst, dass ich ohne meine sehr rudimentäre (und verdammt teure Ausbildung) wahrscheinlich wenig bewirken könnte, weil das Lernen in der Interaktion der Ausbildungsgruppe eigentlich erst die Erkenntnisse bringt. Von der Seite des Systems ist eine gewisse Bereitschaft notwendig, einen systemischen Beratungsweg mitzugehen. Zurzeit hat das Schule aber (noch) gar nicht nötig, da sie nicht unmittelbar in ihrer Existenz bedroht ist, wenn sie ihre Strukturen nicht hinterfragt, bzw. das „Bedrohungsbewusstsein“ im Gegensatz zur Wirtschaft noch viel weniger ausgeprägt ist. Ankommen tut diese Erkenntnis aber nach Aussagen verschiedener Trainer allmählich in den öffentlichen Verwaltungen.

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    • Ja, Beratung wird momentan in erster Linie von den Psychischen Systemen eingeholt: Die Schüler und Lehrer, die nicht mehr gut „funktionieren“ werden pathologisiert und therapiert bzw krimiNalisiert und bestraft. das problem, das das soziale System hat, wird auf die psychischen Systeme, die an ihm teilnehmen (müssen) abgewälzt. Damit kann das System „Schule“ noch eine ganze Weile durchkommen.

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  7. Menschen sind keine Systeme sondern Subjekte.
    Und deshalb ist jede Systemtheorie ungeeignet, Probleme der menschlichen Seinsweise abzubilden oder gar zu erklären.
    Es ist hier kein Platz dafür, das auch nur ansatzweise zu begründen. Ich habe das an anderer Stelle (

    hier
    und

    hier) getan.
    Wie man es auch nimmt, jede Systemtheorie beschreibt das System als Input – Output – Maschine, bei welcher der Input den Output in irgendeiner Weise bestimmt. Dieses Schema gilt auch für nicht-triviale Maschinen mit komplexem Input-Output-Mechanismus.
    In jedem Falle geht mit dem Systembegriff das verloren, was das Wesen des Subjekts ausmacht: der eigene Wille, die Selbstbestimmtheit.
    Du merkst das selbst, deshalb schreibst Du beispielsweise „Dabei muss es (das System G.Lauch systemirritierende Reize verarbeiten. Es muss auch die Möglichkeit haben zu entscheiden, sich selbst zu ändern, um auch in veränderter Umwelt bestehen zu können. Das System muss also sich selbst ändern (können) bei gleichzeitiger Beachtung bzw. auf der Basis seiner eigenen (bisherigen) Systemregeln.“
    Und :“… zum erfolgreichen Lernen muss die „innere Zustimmung“ aus dem (psychischen) System kommen.“ Hervorhebung von mir G.L:)
    Ein Subjekt muss nicht, es will, oder es will nicht.
    Deshalb werden Systemen oft volitive Merkmale zugeschrieben, die ihm per definitionem nicht zukommen. Damit wird die systemtheoretische Logik zerstört. Es ist so, als wenn man einem Schimmel zuschreibt, er müsse auch mal schwarz sein.
    Aber es geht mir hier nicht um die wissenschaftliche Logik. Das Ganze hat auch eine politische und ideologische Dimension. In unserer Gesellschaft werden Subjekte behandelt, als wären es System ohne eigenen Willen, und in der Schule sollen die Heranwachsenden darauf vorbereitet werden. Ich verstehe, dass sie sich dagegen wehren. Das aber erscheint systemtheoretisch als Misserfolg der Schule.
    Dein Anliegen, das ich vollinhaltlich teile, ist systemtheoretisch nicht bescheibbar. Die Systemtheorie ist ein dafür ungeeignetes Werkzeug.

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    • Lieber Georg, ich denke, dass du das systemtheoretische Systemkonzept von autopoietischen komplexen Systemen unterschätzt. Dein Subjektbegriff ist genauso (nur) ein Denkmodell wie das „autopoietische System“ der Systemtheorie. Der „Wille“ deines „Subjekts“ sind die autopoietischen „Entscheidungen“ des Systems. Du bist immer noch auf der Suche nach der einen Theorie, die alles „richtig“ erklärt? Ich bin da pragmatischer. Die Systemtheorie (die sytemtheoretische Systemtheorie im engeren Sinne) erklärt eine Menge in der Individuum-Umwelt-Frage, wie ich sie vorher nicht erklärt bekommen habe. Aber wie gesagt. Ein Modell. Und Modelle haben Grenzen.

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  8. Der Praktiker ist verpflichtet, pragmatisch vorzugehen. Er kann ja nicht warten, bis die Wissenschaftler sein Probleme gelöst haben. Ich bin auch 40 Jahre so verfahren. Mir schien nur, dass das gewählte Werkzeug (Modell) für Dein Anliegen, so wie ich es verstanden habe, nicht so gut geeignet ist. Aber wenn Du sicher bist …
    Gruß
    Georg

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    • Wer redet denn von „dem Praktiker“? Machst Du auch so eine Unterscheidung zwischen Theoretiker und Praktiker? Ich meinte mit pragmatisch ein bisschen was anderes. Aber es ist interessant: Die „Theoretiker“ nennen mich „Praktiker“ und die „Praktiker“ nennen mich „Theoretiker“ – beide meinen es kritisch. Was sagt mir das? Ich bin genau richtig! Denn da, wo vermeintlich zwischen den Stühlen nichts ist, ist in Wirklichkeit die Hauptsache 😉
      Georg, wir sollten das Praxis-Theorie-Problem vllt gerne auch im Salong weiter bearbeiten. mich interessiert es sehr, der andere Georg hat einen tollen Vortrag zu Leos Praxisverständnis gehalten auf Volkers Praxis-Tagung in Ohrbeck.

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  9. Pingback: Lernen ohne Leistungsdruck ist eine Illusion | Jakobs Blog

  10. Reblogged this on Unternehmenskultur 2.0 und kommentierte:
    Ein hervorragender Beitrag zur Systemtheorie, speziell der Interventionstheorie von Helmut Willke. Der Aufsatz passt insofern gut zu meinem Blog, als er die Grundlagen beschreibt für die Veränderungen von Systemen unter der Bedingung zunehmender Komplexität. Ich werde diesen Ansatz demnächst hier aufnehmen unter Einbeziehung neuerer Ansätze in der Systemtheorie, z.B. der Quadruple- bzw. N-tuple-Helix-Theorie. Mit diesen Ansätzen lassen sich m.E. viele Probleme in Bereichen wie Unternehmenskultur, Marketing, Kommunikation oder auch Übergang Schule-Beruf oder Karriereplanung gut beschreiben.

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  11. Ganz im Gegensatz zu deinen Kritikern, liebe Lisa, kann ich als Bildungs- und politischer Akteur ganz viel mit deiner Willke-Rezeption anfangen und bekomme beim Lesen Lust, mir das besagte Buch anzusehen. Ganz besonders möchte ich deine Ablehnung bestärken, zwischen „Theorie“ und „Praxis“ zu unterscheiden. Begriffe ohne Erfahrung sind leer, Erfahrung ohne Begriffe ist blind – das wusste schon Kant. Was wir in Hamburg mit dem Volksentscheids-Desaster bei der Primarschul-Einführung erlebt haben, lässt sich mit dem oben von dir Dargestellten wunderschön durchdeklinieren. Hier hat ein System Politik mit einem System Bildung ein (dummes) Experiment gemacht, ohne mit ihm zu kommunizieren und seine Eigenarten verstehen zu wollen. Die derzeitige Krise der (nicht nur) Hamburger Schülervertretung ist auch vor der Folie des oben Referierten besser verständlich. Wenige, ziemlich verzweifelte Schüleraktivist_innen versuchen, im bestehenden System der Schülervertretung Engagement zu wecken, und glauben, es liege am politischen Desinteresse dieser Generation, wenn sie da nicht anbeißt. Hier hilft nur eine theoretisch versierte Politikberatung. Warum kommt die eigentlich nicht von den Politiklehrern? Weil sie im tradierten System Schule gelernt haben, dass sie dafür nicht „zuständig“ sind. Aber vor allem, weil sie von „fertigen“ Systemen ausgehen.

    In diesem Zusammenhang möchte ich allen, die hier mitlesen, ein Buch empfehlen, das einem über die Mutationen, die unser gegenwärtiges Politiksystem durchmacht, die Augen öffnet. Es ist von Pierre Rosanvallon: Demokratische Legitimität. Hamburger Edition 2010. Für meine Reflexion demokratischer Praxis das wichtigste Buch der ganzen letzten Jahre.

    Kurt Edler

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    • Lieber Kurt,
      vielen Dank für Feedback, Übereinstimmung und den interessanten Lektürehinweis. Das Buch bringe ich bestimmt noch unter (auf dem Nachttisch, im Kopf, später vielleicht hier?

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  12. Die Soziologie, und dort die moderne Systemtheorie hat einen anderen Blickwinkel bzw. einen allgemeineren Gegenstand, in dem gleichwohl unsere Schüler, Kollegen, Schulen und Bildungswesen enthalten sind. Sie kann uns helfen zu verstehen…

    Die Soziologie kann in erster Linie Ansatzpunkte liefern, um begründete Vermutungen über Kausalitäten zu erstellen. Wirklich verstanden, in dem Sinne, dass man plötzlich weiß, was Sache ist, hat man damit noch überhaupt nichts! In meinen Augen ist die größte Gefahr, systemtheoretische, oder andere Perspektiven, einzunehmen, und zu denken, man habe nun etwas verstanden. Unter anderem ein Problem des Marxismus übrigens.

    … Dauerdiskurs… in diesem Diskurs viel Zeit darauf verwendet, argumentierend zu entscheiden, ob es „DAS SYSTEM“ ist … ungebildeten Eltern, mal die „Herkunfts-Milieus“…Schulstruktur, oder es sind die veralteten Unterrichtsmethoden, die sich trotz der neuen hartnäckig behaupten…Schulsystem insgesamt und immer öfter auch einfach alles zusammen – irgendwie miteinander wechselwirkend….

    In diesem Ausschnitt stecken relativ undifferenziert dutzende unterschiedliche soziologische Paradigmen. Luhmann selbst hat in seinem Werk Soziale Systeme zu Beginn klargestellt, dass seine Überlegungen davon ausgehen, dass es soziale Systeme gibt. Dies zu hinterfragen, bzw. die Vorannahmen soziologischer Theorien kritisch zu reflektieren, wäre meines Erachtens der erste Schritt um sich über die Anwendungsmöglichkeit theoretischer Perspektiven auf empirische Sachverhalte bewusst zu werden..

    Vielen Dank für immer wieder interessante Blogbeiträge! Hin und wieder würde ich mir etwas mehr Quellenangaben wünschen, um manche Standpunkte, die oftmals offenstichtlich theoretische Wurzeln haben, besser nachvollziehen zu können.

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  13. Pingback: Organizing self-reflecting processes | Stories that move

  14. Alles soweit ganz spannend. Und eine systemtehoretische Sichtweise mag auch Sinn machen. Aber was mich dann immer stört ist: „Und jetzt?“ Was kann ich ich als Lehrer in meinem Unterricht anders machen. Und zwar konkret! Wenn ich nicht mit linearer Interventionen arbeiten soll, auf meine Schüler eingehen soll, wie soll ich das konkret leisten können im Umfeld von engen Lehrplänen, Zeugnissen alle 3 Monaten und damit eine Erwartungshaltung von Schülern und Eltern nach Noten. Da hilft mir so eine allgemeine Aussage wenig:

    „Was daraus für unsere Lehr- bzw. Interventionstätigkeit folgt, damit sie erfolgreich sein kann, liegt auf der Hand: Wir Lehrer treten sowohl den psychischen als auch den sozialen Systemen, mit denen wir es zu tun haben, auch selbst als ein (psychisches) System entgegen und sind für sie, die ihrerseits für uns Umwelt(en) sind, deren Umwelt. Heißt: Nur, wenn es uns gelingt, mit unseren „Interventionen“ Anschluss an die Operationsmechanismen der psychischen Systeme, in die wir intervenieren wollen, zu finden, können sie das, was wir „rüberbringen“ wollen, verarbeiten. Wir müssen also Anschluss finden an jeden einzelnen Schüler. Diese aber kennen wir in Wirklichkeit nicht, zumindest weniger, als wir immer glauben, und wahrscheinlich nicht bezüglich ihrer persönlichen systemeigenen Operationsweise.“

    Aber vielleicht sehe ich das ganze aber auch zu einfach. Aber wenn ich die Kurse anschaue in denen ich regelmäßig als Schüler sitze und mich mit meinen Schüler in meinen Unterricht vergleiche, so ist eines klar: Ich will im Unterricht sein, ich will was lernen, ich will Feedback vom Lehrer haben – egal ob gut oder schlecht, ich will sehen, dass ich weiterkomme und nicht mehr Anfänger bin.
    Vergleich ich das mit Schülern, so wollen viele eigentlich nicht lernen oder nicht das, was ich unterrichten muss, wollen daher auch kein Feedback oder wenn dann natürlich nur positives. Und weiterkommen und nicht mehr Anfänger sein ist auch schwierig. Denn ist das eine Thema fertig, kommt ein neuer Themenbereich und der Schüler ist mal wieder Anfänger.

    Ich sehe das größte Problem daher darin, dass die Schüler keine Selbstwirksamkeit mehr erleben, keine Kompetenz aufbauen – auch wenn das in allen neuen Lehrplänen wohl drinsteht.

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  15. Hi Ingo, danke für deine ausführliche Antwort. Du sprichst eine wichtige Frage an: hat, und inwiefern hat das systemtheoretische Wissen Konsequenzen fürs Lehrerhandeln?
    Meine Antwort ist ganz einfach: Wir müssen den Schülern mehr zuhören.
    Das, was du für dich als Lernender in Kursen wünschst: – „ich will im Unterricht sein, ich will was lernen, ich will Feedback vom Lehrer haben.“ – wünschen sich die Schüler in deinem Unterricht ja auch. Jeder will lernen – etwas, was mit ihm zu tun hat, was für ihn relevant ist. Jeder will an einer Aufgabe beteiligt sein und zu etwas kompetent beitragen. Jeder will in seinen Bedürfnissen und in seinen Leistungen adäquat wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
    Das ist nur möglich, wenn Kommunikation stattfindet. Wenn die Lernenden genügend Zeit haben, etwas zu sagen, und wenn das Gesagte adäquat beantwortet wird.
    Was ist „schlechtes Feedback“ ? du meinst Kritik? Kritik ist nützlich, wenn sie weiterhilft, wenn sie mit Unterstütztung verbunden ist, wenn darin ein echtes Interesse (des Kritisierenden) enthalten ist, den Kritisierten weiterzubringen. Wirklich schlechtes Feedback ist aber die bloße Beurteilung.
    Anschluss an den Selbststeuerungsmechanismus findet man – nicht nur bei Schülern, sondern in jeder Kommunikation – vor allem durch Zuhören. Wirkliches Zuhören – und ernst nehmen, was gesagt wird und drittens ein adäquates Beantworten des Gesagten – findet für die Schüler von Lehrerseite in der Regel selten statt.
    Ich meine damit: 1. haben die Schüler im Unterricht sowieso wenig Gelegenheit und Zeit sich zu äußern. Meist sollen sie auf Lehrerfragen antworten. Ihre eigenen Fragen und Mitteilungen kommen zu kurz.
    2. Ist aktives, verstehendes Zuhören nicht der Hauptmodus beim Lehrerzuhören. Lehrer hören oft nur im Hinblick darauf zu, welche Antwort sie hören wollen auf ihre Unterrichtsfrage. Oft gibt es doch folgende Lehrerantwort auf eine Nachfrage von Schülern zum Stoff: „Das müsstest du aber wirklich wissen, das haben wir schon letztes Mal besprochen. Pass besser auf!“ statt einer Sachantwort, die vllt nicht mehr Zeit verbraucht hätte als diese.
    Kommunikations-Anschlüsse muss man als Lehrer aktiv schaffen. Wenn es uns gelingt, in ein kontinuierliches Gespräch mit allen Schülern über den Lerngegenstand und ihre Beziehung dazu zu kommen und das Gespräch der Schüler untereinander zu organisieren, dann haben wir Erfolg als Lehrer.
    Das hinzukriegen gibt es viele Widerstände und Hindernisse. Ich gebe dir Recht, dass es für Schüler außerordentlich schwierig ist, Kompetenzerfahrung zu machen, weil sie immer mit neuen Stoffen als Anfänger konfrontiert werden. Und weil es für alles eigentlich viel zu wenig Zeit gibt, Aber sie können Lernkompetenz entwickeln, genau damit umzugehen, sich immer schneller neue Sachgebiete im Überblick zu erschließen. Und dann bliebe viel Zeit, tiefer in jeweils die Fragen einzutauchen, die die einzelnen interessieren, und Projekte zu machen. Solche Art „Unterricht“ kann man teilweise auch im normalen Schulleben und mit den existierenden Curricula machen. (Jedenfalls in meinen Fächern – Geschichte, Musik, Politik – ist es möglich, da habe ich es ausprobiert.)

    Aber selbst, wenn man das nicht (so schnell) hinbekommt – wenn die Autopoiesis-These stimmt, dann kann man nichts erreichen, wenn man mit Druck und Appellen arbeitet statt mit Anschluss. Gelernt wird dann zumeist nur schlampig für den Test und dabei ganz viel „hidden Curriculum“. Aber das ist ja nicht, was wir wollen. Genau dafür müsste uns die Zeit zu schade sein, gerade weil sie so kostbar ist.

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    • Jetzt habe ich 30 Minuten an einer Antwort geschrieben und dann gab es eine Fehlermeldung und alles war weg. Ich hasse diese Technik manchmal wirklich.

      Daher jetzt auch nur noch die Quintessenz: Schule hat sich in den letzten 25 Jahren gewaltig verändert. Von 90% Wissensvermittlung zu 10% Erziehung haben wir inzwischen ein Verhältnis von 50% zu 50%. Und das sollte durch das System Schule auch so unterstützt werden. Da helfen aber keine kleinen Korrekturen sondern nur große. Ein Strg+Alt+Entf quasi.

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