Hätte Kant gesurft? – #opco11

fragt die Konferenz der FES morgen in Berlin, die im Untertitel über „Wissen und Bildung im Internetzeitalter“ aufklären möchte. Teilnehmen werden laut Aussage der Veranstalter ca. 200 Akteure des Bildungssystems, vor allem also LehrerInnen und auch zwei Schulklassen.

Ich bin geladen, in einem letzten Panel um 15:00 Empfehlungen zum Thema „Notebook-Klassen für Alle? – Wie sich der Unterricht verändern muss“ auszusprechen und mit Walter Reese-Schäfer, dem Publikum und Christian Stöcker als Moderator zu diskutieren.

Es wird einen Live stream geben! hier

Erfreulicherweise darf ich ein Eingangsstatement geben, mit Chance sogar ein paar Folien zeigen, falls es die Mediensituation vor Ort erlaubt – was will man mehr?

Da ich außerdem in #opco11 angemeldet bin und bisher aus schwerer Überlastung noch nichts dafür getan habe, möchte ich die gute Praxis der Mehrfachverwertung auch mal nutzen, und hier – explizit als Beitrag für #opco11 – mein Lieblingsthema durcharbeiten: „Wissen und Bildung im Internetzeitalter.“ Gefragt bin ich im Programm des Panels zu „neuen Lehr- und Lernmethoden: Digitales Lernen in der Schule, Lernen mit Blogs“ HA! Da geht es doch gleich in medias res, nämlich zur Verwechslung von Methode und Medium.

Hier meine Notizen für mein Statement morgen – mit einem kleinen Folienteil …

Tja, „hätte Kant gar am Ende vielleicht sogar gesurft?“ – fragt auch das Werbevideo im Livestream. Na klar! Er hätte müssen (wenn er in unserer Zeit gelebt hätte), sonst hätte er nicht ein wichtiger Intellektueller seiner Epoche sein können! 24 Stunden 7 Tage die Woche wäre er online gewesen, was denn sonst? – Weil er aber in der schon reichlich etablierten Buchgesellschaft sein philosophisches Wesen trieb, hat er eben 24 Stunden 7 Tage die Woche seine Nase in Bücher gesteckt, bzw. selbst welche verfasst. Und da sind wir auch schon beim Thema Leitmedium. Kein Mensch kann wirklich an der Kultur seiner Epoche teilnehmen, wenn er keinen Zugang zum Leitmedium hat, denn das Leitmedium ist kulturkonstituierend. In, durch und mit ihm spielt sich alle relevante Kulturtätigkeit ab. Wir müssen also die historische Analogie so bilden: Hätte sich Kant in seiner Zeit so verhalten, wie heute die Dauer-Offliner, hätte das bedeutet, dass er keine Druckerzeugnisse hätte lesen wollen, geschweige denn selbst welche publizieren. Er wäre nicht nur kein großer wirkungsmächtiger Philosoph geworden, sondern hätte vermutlich nicht einmal lesen und schreiben gekonnt.

Stellen Sie sich einmal folgende irre Situation vor – schauen Sie mit dem ethnologischen Blick:

Es sitzt ein einzelner Erwachsener mit etwa 30 Jugendlichen in einem geschlossenen Raum, in dem sich außer Tischen und Stühlen, einem einzigen Buch, freilich in 30 Exemplaren vorhanden, nichts befindet. Ach Stifte und Papier gibt es noch, aber in das Buch darf man nicht hineinschreiben! Es geht offenbar um Bäume, ein paar davon sind auf Fotos in dem Buch abgebildet. Ein Jugendlicher stellt eine Frage zu einem Baum, die niemand – auch nicht der Erwachsene – beantworten kann. Der verschiebt die Beantwortung der Frage auf später, bzw. bittet er die Jugendlichen, am Abend zu Hause mal „nachzuschlagen“. Ein unsichtbarer Wecker klingelt laut. Alle springen auf und rennen davon. Die Session scheint zu Ende. Die Jugendlichen werfen, kaum dass sie das Gebäude verlassen haben, schon auf dem Heimweg ihre smart phones an, die in dem Raum nicht genutzt werden dürfen, checken E-Mails, facebooken und lachen über verrückte youtubes.

Jetzt die Fragen: um welche Art Raum handelt es sich? – Und um welche historische Epoche handelt es sich? .

 

Grafik: A-digit / istockphoto

Klar, es ist ein üblicher Klassenraum in einer üblichen Schule. Nix besonderes. Aber mit dem ethnologischen Blick geguckt, kann man erkennen, dass sich die Akteure, zumindest die Jugendlichen, in zwei verschiedenen Epochen bewegen, ohne dass es ihnen bewusst ist: im Klassenraum befinden sie sich Ende des 19. Jahrhunderts, gleich danach, wenn sie wieder im Freien sind, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Das ergibt Spannungen – keine Frage!

  • Neue Lehr- und Lern-Methoden? – das reicht nicht für die Entwicklung einer neuen Lernkultur, wie sie das digitale Zeitalter erforderlich macht. Verständnis: Was ist eine Methode, was ist ein Medium? (auf den Folien visualisiert: 3 in 4 – Verwechslungs-Problem)
  • Andere Ebene nötig: ganz neuen Lernbegriff, also Begriff davon, was Lernen in der digitalen Gesellschaft sein muss. Anderes Lernen als bisher. Dieses Lernen gibt es schon – außerhalb der Schule. Die Schule ignoriert es, bzw. grenzt es als „Nichtlernen“ aus, denn die Schule ist für eine Gesellschaft geschaffen worden, aus der wir weitgehend herausgewachsen sind. Das Bildungssystem muss dieses außerschulische Lernen integrieren, sonst wird es in der neuen Gesellschaft seine Funktion nicht erfüllen können.
  • 1. Anderes Lernen (Wie), 2. Anderes Lernen (Was)
  • 1. Wie (an erster Stelle, weil es eben nicht bloß Vermittlungsmethoden betrifft, sondern weil es der Trigger des neuen WAS ist):
    • Implizit, nonformell, informell
    • „wildes“ Lernen, Lernen „on demand“, anlassbezogen und in Echtleben-Projekte eingebettet
    • Statt explizites, formelles, systematisches Lernen, auf Vorrat und als Kanon oder Grundlagen „für später mal“
    • cross-over Lernen statt Fächerlernen
    • Projektlernen statt Lehrgang und Training
    • fortlaufendes Lernen statt feste Lernzeiten
    • Spielend experimentelles, erkundendes lernen statt Lehrbuchlernen
      • Spielend, experimentierend ( = z.B. mit den versch. Identitäten durch Avatare in Roleplay Games; z.B. die fließenden Grenzen zwischen virtuellen und realen Welten erkundend)
      • Lernen mit offenem Ausgang und unbekannten Ergebnissen,
      • Lernen nach eigenen Zielsetzungen
      • Digital vernetztes Lernen
      • Kollaborativ statt vereinzelt
        • Kollaborativ (heißt nicht: arbeitsteilig wie Gruppenarbeit in der Schule üblich, sondern im Austausch der verschiedenen Perspektiven untereinander und peer to peer unterstützend!)
  • 2. Was: um in der sich bildenden neuen Kultur bestehen zu können, muss man
    • mit Informationen anders umgehen können
      • wissen, wo die relevanten Informationen zu finden sind
      • wissen, wie diese Informationen zu beurteilen und zu bewerten sind
      • wissen, wie sie zu synthetisieren sind
      • wissen, wie sie anzuwenden sind
      • wissen, wie sie kommuniziert werden
      • wissen, wie mit ihnen kollaboriert wird
      • wissen, wie aus ihnen Probleme definiert werden
      • mit Freunden in ständigem Kommunikationszusammenhang sein können und dabei gleichzeitig eigenen Interessen autonom nachgehen können
      • in heterogenen Gruppen lernen und arbeiten können
      • netzwerken können
  • Der Schlüssel zu den konkreten Inhalten des Lernens, zu den Fragen und Aufgabenstellungen, zu den Zielen und zu den Ergebnissen, die herauskommen sollen bzw. dürfen, heißt : persönlicher Sinn. Ohne Sinn geht Lernen nicht.
  • Aber im Unterschied zu früher, wo es noch einigermaßen möglich war, Sinn (also die Bedeutung einer Sache für das jeweilige Individuum) gesellschaftlich vorzugeben (in Bildungskanons und mit Stoffplänen für alle Individuen einer sozialen Gruppe gleich), weil die Komplexität der Welt und die Heterogenität des sozialen Umfelds noch nicht so groß war –
  • geht das heute nicht mehr! Kein Lehrer kann für seine Schüler den Sinn für die Inhalte ihres Lernens konkret definieren, den müssen die Schüler stattdessen selbst bilden. Es geht also nicht mehr darum, einzelne Inhalte vorzugeben (z.B. vorgegebene historische Informationen und Deutungen über die Antike), sondern ein Setting zu schaffen, in dem Schüler lernen, ihren eigenen Sinn selbst zu bilden. Sinn ist die innere Beziehung des Lernenden/Arbeitenden zum Gegenstand. Sinnbildung zu lernen, eigene haltbare Lernmotive zu bilden, das ist das oberste WAS.
  • Welche Instrumente bewährt, welche vermeiden? – offenbar Tipps an Lehrer gefragt?:
  • Mein Haupttipp heißt: Experimentierfreude und Bereitschaft zum Wagnis. Alles für möglich halten. Die Welt neu erkunden, denn sie ist nicht mehr so, wie sie war, als wir studiert haben! Und sie lässt sich nicht mehr auf dieselbe Weise „aneignen“, wie zu der Zeit, als wir Schüler und Studenten waren.
  • Wenn wir zeitgemäß lehren wollen, dann müssen wir selbst vom „Ich weiß und lehre das“, in einen Frage-, Erfindungs- und Experimentiermodus umschalten. Und die Voraussetzung dafür ist, dass wir uns eingestehen, nicht sehr gut zu wissen, was und wie wir unter den neuen Bedingungen lehren sollen. D.h. wir müssen selbst vom Lehrenden- wieder in den Lernenden-modus. Wir müssen erst mal selbst digital lernen lernen. Und uns beim Lernen über die Schulter gucken, uns beobachten und die eigenen Lernprozesse reflektieren. Erst dann stellt sich die Frage: Wie mache ich das mit meinen Schülern? Und dann stellen wir fest, die Schüler können da Dinge, die wir nicht können. Man könnte gemeinsam lernen. Und dann sehen wir: Wir müssen umschalten von der alten Rolle des Stoffvermittlers zu einer neuen Rolle.
  • Die neue Professionalität heißt, dass wir neu lernen müssen wie Lernen, und dann wie Lernen lernen, und dann noch wie Lernen lernen lehren heute und morgen aussieht.
  • Jeder, der Lernprozesse heute, also unter den Bedingungen des neuen Leitmediums, initiieren und begleiten können möchte, „Lehrer“ sein möchte, muss selbst mit Web 2.0 seine eigenen Lernprozesse organisieren lernen.
  • Er sollte sich ein PLN aufbauen. Er sollte mit vielen Kollegen (nicht nur mit denen aus dem kleinen Schulkollegium) facebooken oder twittern, um sich über alle Praxis- und Theoriefragen seines Lehrerberufs mit wichtigen Kollegen austauschen zu können und vielfältige neue Impulse und Quellen seiner Weiterqualifizierung zu bekommen. Er sollte mit Kollegen in Etherpads und Wikis zusammenarbeiten, z.B. um ein neues Schulcurriculum zu erstellen. Er sollte seine wichtigen Neuentdeckungen von digitalem Material, Artikel, Videos, ganze Websiten in einem Social-Bookmarking-System speichern, zu dem auch sein Lernnetzwerk Zugang hat. Er sollte selbst ein Blog führen, um seine Gedanken zu Gott und der Welt oder zu seinen Hobbies oder zu seinen Praxisproblemen zu formulieren, zu reflektieren und mitzuteilen und sich mit anderen darüber auszutauschen. Wenn das zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dann kann der Lehrer diese seine eigene neue Praxis zu lernen auch weitergeben an seine Schüler, indem er das einfach selbstverständlich mit ihnen zusammen macht, und sie darin anleitet.
  • Wie kommt man dahin? In Jahren. Wir können an einer Stelle anfangen. An irgendeiner Stelle, z.B. mit einem Blog. Aber auf jeden Fall bei uns selbst. Und dann entwickelt es sich in der Tätigkeit damit.
  • Man kann Blogs als Werkzeug benutzen, um den alten Lernstoff anstatt in ein Lehrbuch zu drucken online zu stellen. Man kann versuchen, mit neuen tools die alten Ziele zu erreichen. Das geht wahrscheinlich genauso gut oder schlecht wie mit den alten Medien und tools. Aber damit hat man noch keine neue Lernkultur.
  • Man kann Blogs aber auch benutzen als Tor zur Welt für jeden einzelnen Schüler, oder als Plattform für kollaboratives selbstbestimmtes Lernen, auf dem die Lernenden Material finden und selbst hochladen, das Material bearbeiten und kommentieren, sich über ihr Verständnis austauschen und ihr Lernen reflektieren und gemeinsam den Lernprozess beraten und bestimmen. Man kann Blogs auch benutzen, um die ganze Schulcommunity zu rocken und Partizipation für alle Gruppen – Leitung, Lehrer, Schüler, Eltern – zu organisieren. Für alles das gibt es bereits praktische Beispiele, zumindest Ansätze.

Ich arbeite selbst mit Blogs in meinen Veranstaltungen mit Referendaren und Lehrern. Die können Sie sich gerne im Netz angucken. Eines mit vielen Praxisbeispielen ist die „Blogwerkstatt“ www.lisarosa.wordpress.com

hier die Folien:

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17 Gedanken zu „Hätte Kant gesurft? – #opco11

  1. Der Beitrag ist gut, stimmig und sehr sehr richtig. Aber bei dem Eingangsgedanken bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, Kant hätte nicht gesurft und gerade dadurch wäre er auch heute ein bedeutender Denker geworden. Kant hat zu seinen Lenzeiten kaum soziale Kontakte gepflegt, auf die Meinung von wenigen bis keinem Menschen Wert gelegt und ist niemals verreist. Nur so konnte er es wahrscheinlich schaffen, ein Buch jenseits aller von den Leitmedien formulierter Gedanken zu schreiben. Ein Buch, das erst Jahre nach seiner Veröffentlichung entschlüsselt und verstanden wurde. Ich gebe zu: Ich weiß nicht, was das für die Bildungsdebatte vor dem Hintergrund der Digital natives bedeutet. Man sollte es aber schleunigst herausfinden! 🙂

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    • Die Vorstellung vom einsam denkenden und aus sich selbst heraus schaffenden ist ein Mythos der Buchkultur, den nicht mal sie selbst eingelöst hat. Auch Kant und Humboldt (Wilhelm) haben Sozialkontakte gepflegt. Humboldt in Berliner Salons, und Kant, wie wir heute im Panel hörten, holte sich Informationen für sein Afrika-Buch auf seinen Treffen mit Schiffskapitänen im Hafen von Königsberg. Aber selbst, wenn sie tatsächlich nur denkend in sich gekehrt gelebt hätten: Ohne die Kommunikation mit den Büchern, in denen ihnen das Weltwissen bzw. das bisherige Denken der Menschheit zugänglich war, hätten sie nichts zustande gebracht. Auch Genies stehen auf den Schultern der Denkleistungen ihrer „Vorfahren“ und müssen up to date sein, also das Wissen ihrer Zeitgenossen kennen.
      Sicher benutzen viele die Social Media, um private Dinge auszutauschen. Sie tun darin eben das, was sie auch mit ihren f2f-Kontakten tun. Man kann die SM aber ebenso gut benutzen, um sich über seine berufliche, wissenschaftliche, lernende Tätigkeit auszutauschen. Ich finde es prima, wenn die Informationen, die ich brauche zu mir finden und ich von fb-Freunden oder meiner Twittercommunity auf interessantes Material und neue Perspektiven, Dinge zu sehen, aufmerksam gemacht werde.

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    • danke, Alexander 🙂 ja, eingeschlagen hat er mit entsprechend extrem unterschiedlichen reaktionen. freudige zustimmung bei den einen und ziemliches entsetzen bei den anderen. sehr unterschiedliche gesichtsausdrücke, von fröhlichem lachen bis zu bösen blicken und versteinerten gesichtern.

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  6. Danke Lisa Rosa!

    Ich bin zunächst über die Video-Aufzeichnung gestolpert und habe mich über die frustrierten „gestandenen Lehrer“ amüsiert, die sicher oft vor 40 Jahren selbst zum letzten Mal gelernt haben.

    Hier in dem Beitrag skizzierst du dann – sicher auch für diesen „harten Kern“ derjenigen, die dem Wandel im Weg stehen – anschaulich, was sich ändern sollte.

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  8. Ich finde, die Frage ist falsch gestellt. Die Frage ist nicht, OB Kant gesurft hätte, sondern WIE er gesurft hätte. Oder weniger salopp, wie er das Internet (und sein Smartphone) für seine Zwecke genutzt hätte.

    Zum Lernen selbst: wie verträgt sich „wildes“, bricolage-artiges Lernen mit den stetig wachsenden Effizienzanforderungen der modernen Gesellschaft, mit Bachelorstudiengängen als einem von vielen Stichworten? Sind „wildes“ Lernen und Lernen „on demand“ oder womöglich „just in time“ – Begriffe, die ja nicht umsonst aus Wirtschaftszusammenhängen kommen – nicht eigentlich Widersprüche? Wie passt die propagierte Freiheit, Experimentierfreude und Informalität zur Aufforderung, sich strikt zu organisieren, Bookmarklisten zu erstellen, die selbstverständlich sinnvoll getaggt und kategorisiert sind, oder jeden neuen Fortschritt im Blog oder sonstwo zu dokumentieren?

    Wie stellt man eigentlich in seinem Expertentum sicher, die Digital Natives nicht abzuhängen? In einer Einführungsvorlesung zum Thema eLearning wussten gestern über 90% der Anwesenden (Technikkommunikation und Informatik!) nicht, was Tagging bedeutet. Und hier im Open Course ist die Rede von Audioboos, Twibbons, EtherPads und hundert anderen Tools, die nur 1% der Menschheit überhaupt kennt, von denen aber 99% in einem Jahr schon wieder vergessen sind.

    Was leistet schließlich die Metapher eines zweidimensionalen Netzes im Hinblick auf die Tiefendimension?

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    • Deine Befunde und Fragen finde ich sehr wichtig.

      Zunächst: bevor man sich dem WIE zuwendet, muss das OB ja positiv geklärt sein. Die Frage nach Kant, die die FES-Veranstaltung vorgegeben hatte, implizierte von Seiten der Veranstalter, dass dies noch zu klären sei. Im Moderationsstatement eines Panels wurde dazu gesagt: Ja, Informationen gegoogelt hätte er wohl, aber NIEMALS hätte er Social Media benutzt. Es ist interessant, dass häufig im Zusammenhang mit der Frage nach dem Umgang mit dem neuen Leitmedium in pädagogischen Zusammenhängen die wichtigen Intellektuellen (damals codiert: „Gelehrte“) der Buchgesellschaft auf deren Höhepunkt als Referenten herangezogen werden (Kant, Humboldt …), so als wären wir nur mit ihrer (wenigstens fiktiven) Absolution in der Lage, die Buchgesellschaft in die digitale Gesellschaft zu überführen, mithin uns auch von ihnen zu verabschieden.

      Deine Bemerkungen zu den Widersprüchen zwischen situiertem informellen „wilden“ und organisiertem Lernen:
      Der eigentliche Widerspruch besteht ja nicht zwischen zufällig und organisiert, sondern darin, dass die historische Lösung eben jenes Widerspruchs auf der Ebene der Buchgesellschaft ( = „alles, was nicht systematisches, formelles Lernen ist, ist kein Lernen“) nicht mehr genügt und rekonstruiert werden muss, dies jedoch keinesfalls einvernehmlich vonstatten geht und gehen kann. Die Anforderungen der Jetztzeit verlangen, dass das informelle und „zufällige“, situierte und „wilde“ mit dem systematischen und organisierten auf neuer Ebene miteinander vermittelt werden muss, der (alte) Widerspruch also historisch neu unter den Bedingungen der Digitalität als Leitmedium prozessiert werden muss. Folgerichtig emergieren neue Formen der Organisiertheit, z.B. diejenigen, die du ansprichst: Ein PLN mit den Instrumenten (die ja dann auch kurz- und mittelfristig im einzelnen wechseln können) ist das vorläufige Zwischenergebnis dieser Prozessierung: Ein (selbst mitgeschaffenes) Netzwerk ist dabei das neue Organisationsprinzip, statt der hierarchischen Lösungen, wie sie den gesamten (aus der Buchgesellschaft stammenden) Bildungsinstitutionen inhärent sind. Das ist ein Übergeordnetes, das nicht durch den Wechsel von einzelnen Tools infrage gestellt wird. Instrumente sind eine Ebene tiefer.

      Und dann die Frage der Strategie in Zeiten des Übergangs: Klar kommt es zu Friktionen, weil zu schnell einige vorweg glauben, die Ergebnisse ihrer eigenen jahrelangen Entwicklung, die ja eine Co-Entwicklung mit den Social Media selbst war, könnte für andere zeitlich zusammenschnurren in ein Seminar oder gar in eine einzige Seminarsitzung, in der – dann womöglich auch noch nach altem instruktionspädagogischen Modell – das neue Lernen „vermittelt“ würde.

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  9. Edit: Die Studierenden aus der Vorlesung hatten nach Rücksprache mit einigen Kollegen vermutlich eher keine Lust, sich zu melden, als dass sie tatsächlich nicht wussten, was Tagging ist. Das Grundproblem, dass die eigene Schlagzahl zu hoch ist, bleibt aber m.E. auch dann virulent.

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  10. Pingback: Hätte Kant gesurft? (Update) | SKoLNET

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