Puzzleteile fallen an ihren Platz

„Jedes Land der Welt ist jetzt dabei, seine Bildungsinstitutionen zu reformieren“, sagt Sir Ken Robinson und erklärt in einem Vortrag, warum – wunderschön visualisiert durch RSAanimate , die den Inhalt als protokollierende mindmap aufzeichneten. Danke Ulrike Reinhard für den Hinweis!

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Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur bei uns noch immer darüber gestritten wird, ob ein „Changing Education Paradigms“ stattfindet (für die analytisch denkenden) bzw. stattfinden soll (für die normativen).  Bei Ken Robinson wird ganz deutlich: Der Change findet statt. Ob er schnell, tiefgreifend und mit durchschlagendem Erfolg vollzogen wird, hängt von vielen Dingen ab – nicht zuletzt aber vom Verständnis des sich mit Notwendigkeit vollziehenden Transformationsprozesses durch die beteiligten Akteure.

Lernen und Entwicklung – die Operationsweisen der menschlichen Anpassung an kultur-historischen Wandel – sind heute mit den Denkweisen und Institutionen von gestern nicht mehr vereinbar.  Die akademische Denkweise wurde im Industriezeitalter prämiert, d.h. ausschließlich gesetzt: (nur hier wird „richtig“- d.i. „wissenschaftlich“ gedacht!). Und die Schule war der Ort, dessen Lernform im Industriezeitalter verabsolutiert wurde (Nur HIER wird gelernt!- Nicht etwa anderswo. Und hier wird NUR gelernt! – Nicht etwa gespielt, gearbeitet oder sonst etwas geschaffen.)

Im digitalen Zeitalter muss diese Prämierung – die für die Entstehung des Industriezeitalters funktional war! – aufgegeben werden. Entweder zugunsten einer neuen Prämierung oder – wie Michael Giesecke inzwischen glaubt – zugunsten des Aufgebens jeglicher Prämierung von Medien, Kommunikationsformen, Lernformen überhaupt.

Auf den MaCdays 2010 in Josefstal hatte ich auch Gelegenheit, diese Zusammenhänge zu thematisieren. Hier meine Folien zum Vortrag:

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Nicht alle Folien sind selbsterklärend, daher zwei weitere Hinweise:

Es ist nicht marginal, zufällig oder gar versehentlich, dass plötzlich die „Außerschulischen Lernorte“ auch von den Bildungsbehörden (neu) entdeckt werden. Hier die brandneue Broschüre gleichen Namens, die von der Hamburger Schulbehörde kürzlich bei uns in Auftrag gegeben wurde und auf eine Vielzahl von didaktisch erschlossenen Lernorten in Hamburg verweist:

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Aber natürlich ist der ORT des Lernens nicht das einzige Paradigma, das neu bestimmt werden muss, auch die Art des Lernens. Wiederum eine (neu-) Entdeckung, eine Umprämierung wäre dabei sicher nötig in Richtung Projektlernen, forschendes Lernen.  Selbstverständlich Lernen mit dem Internet, entweder am Ort des Lerngegenstands selbst („Mit dem iPhone in den Wald“) oder im Klassenraum als Basislager, wo die Sammlung von Expeditionsergebnissen geordnet, diskutiert, bearbeitet und der (Schul-)Öffentlichkeit präsentiert werden kann.

Für mich eine besondere Neuentdeckung ist das Hole-In-The-Wall-Projekt und seine Folgen. Wiederum Dank an Ulrike Reinhard, die durch ihr Interview mit Sugata Mitra dafür gesorgt hat, dass ich auf diese wichtige Ressource aufmerksam wurde! (Was wüsste ich ohne die Hubs in meinem Lernnetzwerk? Nahezu nichts.)  Die Entdeckungen dieses Projekts für den Paradigmenwechsel im Verständnis dessen, was Lernen heute bedeutet und wie es funktioniert, scheint mir immens und ist mindestens ein eigenes post wert. (Demnächst)

15 Gedanken zu „Puzzleteile fallen an ihren Platz

  1. Bei mir schwankt die Geschichte zwischen großer Besorgnis und ebenso großer Euphorie.
    Ich sehe auf der einen Seite, wie Medien in meinen Augen mittlerweile sinnlose „Ergotherapien“ in Schule ersetzen und Unterricht effektivieren: Man muss Mindmaps nicht abschreiben – man kann sie kollaborativ erzeugen und auf einer Plattform zur Verfügung stellen – ein Beispiel. Ich will schließlich das Denken und nicht die Robotik der SuS. Auch Tools wie Prezi oder die Lessingmethode helfen endlich dabei, die „Bulletpoint-Presentationgegend“ zu verlassen und wiirklich auch den Vortragenden als Mensch seine gebührende Rolle zuzuweisen.
    Auf der anderen Seite muss man ja auch ehrlich sagen, dass es die außerschulischen Lernorten schon immer gab und m.E. ja auch wesentlicher Grund dafür sind, dass wir die Schere zwischen sozial benachteiligten Kindern und anderen Kindern haben: Die einen nutzen im außerschulischen Lernort Medien konsumativ – die andere fahren mit Mutti und Vati in die Bibliothek, ins Museum oder den pädagogisch wertvollen Kletterwald – weil Mutti und Vati es sich leisten können oder wollen.
    Von dem Medieneinsatz in meinem Unterricht – ich mache sehr viel mit Blogs im Moment – scheinen die SuS mit entsprechender außerschulischer Disposition in besonderem Maße zu profitieren – die Schere scheint sich nicht zu schließen, sondern ich erlebe z.T. sogar eine Verschärfung des Problems der sozialen Ungerechtigkeit, weil ja z.B. transparent wird, wie groß die Skala ist und ohne Sozialkompetenz dann gar nichts geht.
    Die Baustelle ist groß und ihre Größe macht mir viel Sorge. Hubs liefern auch mir viel Input, aber auch viel Anspruch(!) und wenig pragmatische Handlungsoptionen – die aber für mich als Lehrer extrem wichtig sind. Für mich drehen suich die Diskussionen auf z.B. Twitter oft im Kreis: Das Ziel ist klar und wird für mich auch nicht dadurch erreichbarer, wenn mehr und mehr Input dazu erfolgt, wie es klarer wird und warum man es erreichen sollte.

    Gruß,

    Maik

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    • Da fällt mir noch was ein, was ich auf den MaCdays gelernt habe: die außerschulischen Pädagogen haben viel weniger Probleme, mit den Jugendlichen außerschulische Lernorte zu nutzen (klar) und darum schon eine Menge Erfahrung damit. Was hindert uns als Lehrer aber daran, mit unseren SuS die Schule zu verlassen? Und z.B. die Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Lebenswelt zu treffen, wo sie sich mit ihren außerschulischen wichtigen Tätigkeiten präsentieren können? Solche Projekte hat z.B. Verena gezeigt mit aufsuchender Medienarbeit in der Projekten der „medien-street-art“
      http://www.club7.de/jugend/wai1/showcontent.asp?ThemaID=1808
      In einem „Risiko“-Stadtteil von Wiesbaden haben sich die Erwachsenen über den Lärm der Jugendlichen beschwert. Die Jugendlichen haben sich daraufhin selbst medial präsentiert mit dem, was sie tun; während sie die Videos machten, wurden sie dann von neugierigen Erwachsenen angesprochen. So kam man im Stadtteil miteinander ins Gespräch …
      Wenn das kein Lernen/Entwickeln ist, dann weiß ich nicht, was. Und warum kann ein Lehrer soetwas mit seinen Schülern nicht machen? Natürlich kann er!

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  2. Natürlich gab es die „außerschulischen Lernorte“ schon immer
    – bloß sie wurden bis vor kurzem nicht als Lernorte anerkannt! Gut, mal eine Exkursion, aber doch nicht als Hauptlernform, sondern selten, und wenn, dann bloß zur Veranschaulichung dessen, was vorher systematisch (und unter Ausschluss der Echtbegegnung mit dem Ort) im Klassenraum gelernt worden sein sollte. Das ist doch der Unterschied! Dass mit der Ahnung, dass die Welt, die es zu erobern gilt, außerhalb der Schule liegt, dass sie nicht didaktisch reduziert werden darf, sondern die SuS die Begegnung mit der Komplexität des jeweiligen Ortes / Gegenstand brauchen!
    Gut, sag ich ja, dass das alles längst gesagt worden ist, nämlich mit Dewey vor allem. Und das gibt es seit der Institutionalisierung der allgemeinbildenden Pflichtschule! Aber es hat sich eben gegen das Verständnis „LERNEN IST KLASSENRAUMLERNEN“, das zum institutionellen Lernen des Industriezeitalters gehört wie die Schlange zum Paradies, eben NICHT etablieren können außer in einigen Alternativschulnischen. Die Lernkultur des digital age greift darauf, wie auch auf das peer2peer-Lernen und das informelle und das inzidentielle Lernen, jedoch zurück, und zwar mit prämierender Intention: Diese Lernformen werden in den Vordergrund rücken, und das bisher ausschließlich bevorzugte systematische formelle Klassenraumlernen wird sich ihnen unterordnen.

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  3. „Was hindert uns als Lehrer aber daran, mit unseren SuS die Schule zu verlassen? Und z.B. die Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Lebenswelt zu treffen, wo sie sich mit ihren außerschulischen wichtigen Tätigkeiten präsentieren können?“

    Schulorganisatorisches und Rechtliches – das ist aber nebensächlich und in den Griff zu bekommen. Wenn das alle oder sehr viele so machen, finde ich die Sache mit dem Rezeptionsproblem motivational sehr schwer, z.B. hier:

    http://riecken.de/index.php/2010/01/blog-wiki-im-unterricht-die-rezeptionsherausforderung/

    „Diese Lernformen werden in den Vordergrund rücken, und das bisher ausschließlich bevorzugte systematische formelle Klassenraumlernen wird sich ihnen unterordnen.“

    Das ist in meinen Augen schon Realität, weil schulischer Erfolg nach meiner Erfahrung maßgeblich davon abhängig ist, welche Dispositionen gerade außerhalb von Schule gesetzt worden sind. Ich habe kaum ein Kind erlebt, welches im Alltag kompetent ist, in der Schule hingegen durch Lernschwierigkeiten aufgefallen wäre.

    Es ist die Frage, ob es wünschenswert ist, dass Außerschulische instutionell zu kanonisieren, weil es u.U. bedeutet, dass Ganztagsschule eine größere Rolle spielt, da das Schulorganisatorische dazu strukturell verändert werden muss.

    Es ist noch lange nicht Realität in Schule – das ist nicht ernmsthaft zu bestreiten. Um es real werden zu lassen, möchte ich mich weniger um das „Was?“ sondern mehr um das „Wie?“ kümmern. Leute, die genau das tun und pragmatische Tipps geben, sind rar.

    Somit empfinde ich als Lehrer diese Gedanken eher wie die Mohrrübe, die man dem Hase an einem Stock vor den Kopf bindet: „Sieh, wie lecker und du wirst sie essen, du weißt es nur noch nicht!“

    Gruß,

    Maik

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    • Somit empfinde ich als Lehrer diese Gedanken eher wie die Mohrrübe, die man dem Hase an einem Stock vor den Kopf bindet: „Sieh, wie lecker und du wirst sie essen, du weißt es nur noch nicht!“

      Ich mag Mohrrüben.

      Und wenn das System, was Robinson postuliert, nicht mehr zeitgemäß ist und daher sein Paradigma von „Lernen“ ändern muss, dann kann man diesen Prozess nicht durch gut gemeinte Tipps von außen „anleiten“ sondern muss das System selber in Schwingung bringen. Es muss in Frage gestellt werden. Keine Lösung aufzeigen, sondern erstmal nur Fragen stellen. Das führt zu einer unbefriedigenden Situation. Und mehr soll es auch nicht.
      Denn ich glaube nicht, dass Robinson oder sonst ein Reformpädagoge schon lange vor ihm ersthaft prognostizieren können, WIE genau education in Zukunft aussehen wird.

      Ich erfreue mich zeitweise an dieser Ungewissheit und unbefriedigenden Situation – bevor ich sie danach verteufle und endlich mal was konkretes sehen möchte. Tja…

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      • Genau. Und es ist ja überhaupt nicht so, als wären wir nur mit Theorie und Reflexion und Kritik des Bestehenden beschäftigt. Es gibt schon soooo viele Beispiele, wo neue Dinge erprobt werden und sich schon vielfältig bewährt haben. Z.B. dein „Barcamp im Unterricht / Projektunterricht“ http://www.bluemac.de/blog/2010/10/03/barcamp-trifft-schule/
        Das und die Diskussion dazu ist beste Unterrichtsentwicklungswerkstatt, – alleine, dass sowas existiert, nämlich dass 1. mutig erfunden und erprobt wird, 2. das Ergebnis dokumentiert und veröffentlich wird, 3. eine Diskussion darüber stattfindet,
        allein ds schon unterscheidet uns gewaltig von der Praxis der (Gymnasial-) Lehrer, die bis vor kurzem niemanden in ihren Unterricht hineinschauen lassen wollten, geschweige denn über ihre Experimente diskutieren lassen wollten!
        Naja, und wenn man mal auf diesem Niveau des organisierten Erfahrungsaustauschs ist, dann steht man jeder Rezeptepädagogik (wenn SuS dieses machen, mach du jenes) ganz skeptisch gegenüber.
        Die gewünschte Praxisanleitung kann also nur heißen: Erfinde, probiere aus, rede darüber, stelle es zur Diskussion, sammle neue Ideen und probiere neu.

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  4. Pingback: Sir Ken Robinsons Vortrag animiert | Timo Off

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