Blogaktion bei Literatenmelu

Der Bitte, mich mit einem Blogpost an Literatenmelus Blogaktion Mehr Bildung in Blogs – mitmachen und gewinnen! mit meinen Antworten zu beteiligen, komme ich gerne nach. Ich gehe davon aus, dass mit „Mehr Bildung in Blogs“ der Appell gemeint ist, es sollte mehr schulisches Lernen in Blogs stattfinden. Lustig, dass man ein gedrucktes Wörterbuch gewinnen kann. (Ich hätte natürlich viel lieber eine Webcam, ein iPhone oder ein Jahr Upgrade für WordPress, aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht … 😉

Melanie fragt:

1. Woran erinnerst Du Dich, wenn Du an Deine Schulzeit zurückdenkst?

Meine Schulzeit zerfiel einerseits in die Zeit, die ich bei meinen Eltern verbringen musste, und andererseits in die, die ich in der Schule verbringen durfte. In der Schule war das Leben leichter, die Kommunikation nicht ganz so undurchschaubar und irritierend und die Beziehungen waren lockerer. Langweilig und anödend waren die Anforderungen, Dinge paukend lernen zu müssen, deren Bedeutung ich nicht verstand und zu denen ich noch viel weniger eine sinnvolle Beziehung herstellen konnte. Das waren solche Fächer wie Mathematik, Latein, Französisch. Weil es ärgerlich war, viel Zeit damit verbringen zu müssen und Fragen nach dem Sinn nicht ernst genommen wurden, habe ich viel gestört und wenig gepaukt. Aus Langeweile habe ich aber mal zu Hause in der lateinischen Grammatik gelesen – es war wohl gerade kein anderes Buch da – und fand heraus, dass wir an der Nase herum geführt worden waren:  Es gab im Gegensatz zur Lehreransage sehr wohl ein (einziges) Verb der a-Konjugation, wo das a kurz war.  Zum Glück waren einige Lehrer schon modern und freuten sich, wenn man zu Recht etwas zu kritisieren hatte. Und so konnte ich mit solchen Entdeckungen meinen ungenügenden Vokabelschatz ausgleichen.

Deutsch war klasse. Es gab zu lesen und darüber zu sprechen, und man durfte schreiben, allerdings nur, wenn eine Aufsatz-Klassenarbeit angesagt war. Die Lehrerin trug zuweilen Gedichte vor – ein Genuss. Religion gefiel mir, denn man erfuhr wenigstens ein bißchen was darüber, wie Menschen denken. (Philosophie und Soziologie hätte ich gerne gehabt, aber das wußte ich damals noch nicht, denn sie kamen nicht vor.) Geschichte war grauenvoll: Wir hatten ein Vokabelheft, links trugen wir Jahreszahlen ein – rechts die Ereignisse ( von deren Sinn und Bedeutung wir keine Ahnung hatten) – etwa so: 333 v. Chr. – Schlacht bei Issus. – In der Oberstufe erzählte uns die Geschichtslehrerin, wie sie den jeweiligen Gegenstand sah und machte dabei Notizen an der Tafel, die wir ins Heft übernehmen mussten. Sollte es uns je eingefallen sein, zu Hause diese Notizen nachzusehen, hätten wir sie nicht verstanden. Es gab ein Geschichtsbuch mit wenigen winzigen schwarz-weiß-Fotos zur Illustration. Das Geschichtsbuch funktionierte ähnlich wie die Geschichtslehrerin – es war nicht zu verstehen. Spaß gemacht haben außerdem  „Turnen“ (wo wir uns bis zur Erschöpfung bewegen durften) und  Kunst (wo wir selbst gestalten durften, nicht kritisiert, aber beraten wurden). Ansonsten war – wie heute auch – das Beste an der Schule, dass wir in den Pausen mit unseren Freundinnen palavern, im Park spazieren gehen und bei den Fahrradständern rauchen konnten. Das Abitur gab es irgendwie so nebenbei.

2. Welche Medien hast Du im Unterricht kennengelernt und auch selbst genutzt?

Im Unterricht habe ich keine  Medien kennengelernt, die ich nicht von zu Hause schon kannte. Alphabetisiert worden bin ich noch mit der Schiefertafel (während es zu Hause Stifte und Papier gab). Ich habe das Quietschen des Griffels noch im Ohr. Man konnte gemobbt werden, indem jemand mit einem Wisch die Hausaufgabe von der Schiefertafel löschte. Danach hatten wir natürlich  in der Hauptsache das Medium gedruckte Schriftlichkeit. Das Gedruckte war zuerst eine Fibel, danach Lehrbücher.  Ansonsten wurde meist viel mündlich von den Lehrern erzählt. Dabei war vorausgesetzt, dass sowohl das, was erzählt wurde, als auch das, was gedruckt war, identisch mit der Realität war. Objektiv.  Zuhause habe ich mit 10 Fingern Schreibmaschine schreiben gelernt. Auf den mechanischen Schreibmaschinen unserer Väter haben wir dann unsere Spirit-Carbon- oder Wachsmatritzen als Druckvorlagen für Schülerzeitungen und Flugblätter hergestellt. Wir nannten das „Vervielfältigen“ oder „Abziehen“, aber es war natürlich ein Druckvorgang, zum Teil richtiger Schweinkram. Fotokopierer gab es noch nicht. Im Unterricht kam natürlich weder die Schreibmschine noch der Vervielfältigungsapparat vor. Schüler hatten nichts zu sagen, was vervielfältigenswert war, und schon gar nichts, was hätte an die Öffentlichkeit dringen sollen. Schüler waren Sammelbecken von Lehrerwissen. Häufig musste per „Abfragen“ geprüft werden, ob die richtigen Sammlungen auf die richtige Art und Weise in den Gefäßen abgelegt waren, und ob sie sich dort ja nicht irgendwie verselbständigt und verändert hatten.

3. Welche Möglichkeiten siehst Du, die Lehrerausbildung zu verbessern?

Ich sehe vor allem Notwendigkeiten. Mit Verbesserungen alleine wird es nicht mehr getan sein. Ganz sicher wird die Ausbildung (und Fortbildung) die Lehrer instand setzen müssen, die anstehende Transformation des Bildungssystems praktisch zu wuppen. Dazu gehört in erster Linie, dass sich angehende und schon praktizierende Lehrer im bereits gesellschaftlich etablierten Leitmedium Internet bewegen wie der Fisch im Wasser. Ein Lehrer, der die virtuelle Welt als ihm fremde Welt betrachtet, ist eigentlich schon jetzt vergleichbar einem Lehrer des 18./19./20. Jahrhunderts, der selbst nicht liest und schreibt (und es darum auch nicht kann) und auch keine gedruckten Landkarten lesen kann, und der stattdessen den Schülern höchstens beibringen kann, wie man andere Leute nach dem richtigen Weg fragt.

4. Was hältst Du davon, Blogs, Wikis, Podcasts etc. im Unterricht einzusetzen?

Das Internet auf der Stufe Web 2.0 wird immer mehr DER Informations- und Kommunikationsraum, DER Sozialraum der nächsten Zeit. Bildung muss sich natürlich in diesem Raum bewegen, wo denn sonst.

5. Können Online-Angebote die herkömmliche Nachhilfe sinnvoll ergänzen oder sogar ersetzen?

Nachhilfe ist ein komisches Konstrukt. Sie gehört zu einem Bildungssystem, das nicht nur damit lebt, sondern für das es konstitutiv ist, dass es viele TeilnehmerInnen gibt, die im System selbst nicht genügend Bildung erwerben, um ein Zertifikat (für einen Studien-, Ausbildungs- oder Arbeitspaltz) erlangen zu können. Wer Nachhilfe braucht, weil das Bildungssystem nicht auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, der muss extra bezahlen, damit er nicht durch die Maschen fällt. Die Nachhilfe ist daher eine ambivalente Einrichtung: Einerseits hilft sie, am Ende doch noch im System bleiben zu dürfen, und rettet Einzelne vor dem Absturz durch die Maschen – andererseits stabilisiert sie als Korrekturinstrument das exkludierende System. Wir brauchen jedoch ein Bildungssystem, das für alle funktioniert, ohne dass sich jemand  eine Extra-Bildungsdienstleistung hinzukaufen muss. Für den Übergang, bis wir ein solches System haben, finde ich alles sinnvoll, was diese Extra-Bildungsdienstleistung zur Inklusion der einzelnen Betroffenen wenigstens kostenlos macht.  Ein  Online-„Nachhilfe“-Angebot macht nur Sinn, wenn es die User nichts kostet und wenn es gleichzeitig bessere Pädagogik liefert als der Klassenunterricht, an dessen Unzulänglichkeiten der Nachhilfeschüler ja gescheitert ist.  Vermutlich kann dies gut ein Peer-to-Peer-Verfahren mit open access liefern. Schon immer seit es Schule gibt, haben sich die Mitschüler gegenseitig am besten aus der Verständnislosigkeit helfen können. Das findet übrigens schon lange online statt:  Schüler chatten am Nachmittag in msn oder skype über ihre Unterrichtsschwierigkeiten, machen zusammen Hausaufgaben und bereiten sich gemeinsam auf die nächste Klassenarbeit/Klausur vor. Sie tun das im Gymnasium in der Oberstufe fast alle.  Diese Möglichkeit müsste auch für die Schüler der anderen Schulformen und Schulstufen gegeben und gezeigt werden – während der Schulstunden.

5 Gedanken zu „Blogaktion bei Literatenmelu

  1. Danke für die Antwort auf die Nachhilfe-Frage. Ich halte Nachhilfe auch für ein merkwürdiges Konstrukt, das quasi von den Fehlern des etablierten Systems lebt und in dem Moment, wo Nachhilfe kommerzialisiert wird, wird das vorgebrachte bestreben der Verbesserung des Gesamtsystems irgendwie fragwürdig.

    Ich gebe als Lehrer derzeit meinen eigenen Schülern „Nachhilfe“ nach Unterrichtsschluss. Dabei ist dieses freiwillige Angebot aber zum einen zeitlich von vornherein begrenzt und zielt auch ausschließlich aufs Methodenlernen, Selbstorganisation und Lernen zu lernen. Eine Nachhilfe, die inhaltlich arbeitet und sich zum festen Bestandteil des Systems erklärt, erscheint mir sowohl analog als digital falsche Signale an den Lerner zu senden.

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  2. Toll, dass Du noch unbezahlte Lehrerzeit einsetzt, um einzelnen SuS nach dem Unterricht weiterzuhelfen! Eine gescheite Online-Anleitung des Lernen Lernens find ich klasse! Kennst Du sowas? Sonst müsste man das pfeilgrad als Projekt auf die Agenda nehmen.

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  3. Als zukünftiger Lateinlehrer muss ich natürlich unvermeidlich die Frage stellen (um später nicht denselben Fehler zu machen): was ist das für ein Verb der a-Konjugation mit dem kurzen a? 🙂
    Gutes Neues Jahr!

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  4. Pingback: Appendix-Blog » Blog Archiv » Nette Aktion und falsche Frage

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