Am Titel ist zu sehen, dass ich bewusst das Wort Unterricht vermeide. Ich halte es für günstig, die Tätigkeit der Lehrkräfte in Schule von diesem Begriff zu entkoppeln und erst einmal wieder ganz weit zu formulieren: Wir leiten etwas an. Wie, ist damit noch nicht gesagt. Aber deutlich gesagt ist, was wir anleiten: Lernen. Und damit wird der Fokus auf die Tätigkeit derer gelegt, für die wir da sein sollen: die Schülerinnen und Schüler.
Ich sage auch nicht „digitales Lernen“ oder „digitale Schule“, weil Lernen und Schule nicht digital sein können. Aber ich sage digitales Zeitalter, weil ich denke, dass die Digitalität das entscheidende Merkmal der ganzen Epoche ist, in die wir hineinwachsen.
Und zum Untertitel: Ich denke, dass unsere Praxis, die Art und Weise, wie wir Lernen anleiten, auf unser Verständnis davon verweist, wie Lernen geht, was und wie Schüler sind und welches unsere Rolle als Lehrkräfte dabei ist. Und da an der gesellschaftlichen Praxis insgesamt (vor allem außerhalb der Schule) einiges im Umbruch ist, muss sich auch unser pädagogisches Verständnis verändern. Deshalb erst etwas zum neuen Verständnis und dann ein Teil zur neuen Praxis.
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Über das Erlernen professionellen Lehrerverhaltens – Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Georg Lind
Georg Lind ist Professor für Psychologie und hat bis zu seiner Emeritierung in der Lehrerbildung Pädagogische Psychologie an der Universität Konstanz unterrichtet. Er hat die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD) nach Lawrence Kohlberg entwickelt und engagiert sich weiterhin als Lehrerfortbildner.
Georg Linds Newsletter „Bildungsinfo“ ist nicht nur sehr beliebt wegen seiner treffsicheren Auswahl an relevanter aktueller Lektüre für Lehrer an Schulen und Hochschulen, sondern auch und vor allem wegen seiner Kommentare dazu, die wesentlich beitragen, die aktuellen Bildungs-Debattenthemen auf wissenschaftliches Niveau zu bringen, und dabei immer verständlich geschrieben sind ohne zu simplifizieren.
In einer der letzten Sendungen des Bildungsinfos hat Georg Lind anlässlich eines Interviews in der Taz mit Annedore Prengel über die Bedeutung der Beziehungsgestaltung durch den Lehrer für die Lernbereitschaft von Schülern entscheidende Dinge gesagt. Und außerdem gibt er Antworten auf die Frage, wie die Fähigkeit zu einer lernförderlichen Beziehungsgestaltung zu lernen ist. Hier sein ganzer Kommentar im Wortlaut:
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Selbstbestimmt lernen
Am 12. November 2010 erfuhr ich gen 20 Uhr über @cervus von einem Grundtvig-Workshop (aus den EU LLL project series) in Utrecht, für den man sich bis Mitternacht bewerben konnte. Nur aus Neugier schaute ich in die Unterlagen und beschloss auf der Stelle, dass ich unbedingt an dieser besonderen Lernwoche im Februar 2011 beteiligt sein wollte.
Self-directed Learning ist sowohl der Begriff für das Lernverständnis, das diesem Workshop zugrunde lag, als auch der Begriff für eine Sammlung von Methoden, die man im Workshop lernen und mit denen dort gelernt werden konnte. Weiterlesen
Sinnbildung lernen
Statements und Gespräche darüber, wie Lernen denn funktioniert, was „sinnvolles“ Lernen überhaupt ist, wie man als Lehrer die Schüler am besten motiviert (transitiv), wie Lehren richtig geht, ob denn nicht Auswendiglernen doch ein brauchbarer Lernmodus sei und vieles mehr, finden sich immer und aktuell, solange es Schule gibt. Alles wichtige Fragen für den Praktiker, der sich Gedanken macht und seine Praxis verbessern möchte. So geht es natürlich auch mir. Ich möchte die Antworten auf solche Fragen jedoch nicht nur im kollegialen Gespräch per Meinungsabfrage suchen (Praktiker unter sich), sondern meine kognitiven Dissonanzen auch mittels empirischer Forschungsergebnisse und Theorieerkenntnisse klären. Weil sich die Fragen aktuell in unserer Zeit des gesamtgesellchaftlichen Umbruchs ganz neu stellen, stand ich mit voice recorder, Kamera und meinen gesammelten Fragen zum Thema „Lernen und Sinn“ im April diesen Jahres vor der Tür zweier Berliner Erziehungswissenschaftler. Sie waren einen ganzen Sonntag Vormittag bereit, meine Fragen zu beantworten. Es wurde ein sehr aufregendes mehrstündiges Gespräch, das ich zu einem Interview für die Hamburger Lehrerzeitschrift Hamburg macht Schule verarbeitete. Das Heft 3/4 mit dem Thema „Lernen und Sinn“ wird im Dezember erscheinen und neben dem orientierenden Interviewbeitrag eine Fülle von good practice-Beispielen enthalten. Hier im Netz können wir das Interview aber schon jetzt lesen.
Dass theoretische Klärung nicht nur ein anstrengendes und ernsthaftes Geschäft ist, sondern auch „fröhliche Wissenschaft“ sein kann, zeigt das Foto, aufgenommen in einer Gesprächspause:
Meine Gesprächspartner:
PD Dr. Johannes Werner Erdmann [links]
Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW) der Universität der Künste Berlin (UdKB), Studiengangsleiter „Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaft“ und Leiter der Arbeitsstelle für Weiterbildung; Arbeitsschwerpunkte: Medien und Systeme, Lernen, Kulturelle Evolution / Transformation
Emeritus der UdK Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Mediengeschichte und Lernen, Sinn in der Psychologie A.N. Leont’evs
Eine der wichtigsten Erkenntnisse war für mich ein Beitrag von Johannes W. Erdmann, in dem er die drei „negativen“ Imperative des Lehrens nannte:
1. Betrachte deine Schülerinnen und Schüler nicht als Tiere, die Du dressieren könntest.
2. Betrachte sie nicht als intelligente Maschinen, die du programmieren kannst.
3. Betrachte sie nicht als Speicher und stopfe sie nicht voll mit Informationen.
Das ganze Interview hms_4_interview_Druckfassung
Persönlicher Sinn und historisch-politisches Lernen. Ein Schulbeispiel zum Thema Holocaust
Zunehmender Rechtsextremismus – Anwachsen von Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft – fast keine Woche vergeht, in der wir nicht auf verschiedenen Ebenen der Politik, wissenschaftlicher Studien oder im Zusammenhang mit der Diskussion um Schule und Bildung und den mageren Ergebnissen des Geschichtsunterrichts mit diesen Befunden konfrontiert werden. Ist Holocaust Education als neues Unterrichtsfach oder Unterricht über Auschwitz in allen Fächern nötig? Oder muss die Gestalt des Geschichts- und Politikunterrichts auf den Prüfstand? Wie kann der Geschichtslehrer mit diesem Problem umgehen? Hat er einen besonderen Beitrag für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus für die Gesellschaft zu leisten? Gibt es neue Ansätze zur Vermittlung der „Lehren aus dem Holocaust“, die ihn dabei unterstützen können?
Weil mich das Thema Holocaust umtreibt, seit ich denken kann, und die Vermittlung des Themas und die Frage der „Erziehung nach Auschwitz“ beschäftigen, seit ich Geschichtslehrerin bin, habe ich mich im letzten Jahr daran gemacht, den Problemzusammenhang „Schulunterricht zu den Themen Nationalsozialismus und Holocaust – Lernen und Wissen der Schüler – Einstellungen und Verhalten der Schüler“ gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Ich habe Lerntheorie, allgemeine und Fachdidaktik sowie die Projektdidaktik geprüft, neue Unterrichtskonzepte untersucht, schließlich selbst ein Unterrichtsmodell entworfen und es anschließend mit Schülern in einem Pilotprojekt und danach mit Studenten, Referendaren und Lehrern ausprobiert. Das Projekt hieß:
„‚Richtiges‘ Erinnern? Wie können wir angemessen mit der Gegenwart unserer Vergangenheit umgehen? Ein (Selbst-)Erkundungsprojekt am Beispiel des Holocaust-Mahnmals in Berlin.“
Was dabei herausgekommen ist, ist nun ausführlich in meinem Aufsatz zu lesen:
„Was hat das mit mir zu tun“? Persönlicher Sinn und historisch-politisches Lernen
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