Kürzlich stellte unser Medienpädagogik-Team den Kollegen in der Fortbildung seine Fortbildungswerkstatt (früher „Trainings“) für die Lehrer vor. Mich hat sie wirklich sehr überzeugt, und ich wünsche sie möglichst vielen Schulen, denn die Anforderungen sind niedrigschwellig und auch Lehrer, die noch nicht viel mit dem Computer arbeiten (auch nicht für sich selbst) können sich zutrauen, damit im Unterricht erste Erfahrungen zu machen. Die Lehrer lernen, wie sie selbst und anschließend mit den Schülern Netzrecherche üben, Gefundenes bewerten und anschließend zu einer Präsentation aufbereiten können. Auch eine Geschichte wird erarbeitet und als Hörspiel in einem Podcast präsentiert. Ein schönes Einsteigerprogramm!
In der Diskussion dieses Werkstattmodells hat mich der Einwand einer Kollegin nachdenklich gemacht: Sie fragte, ob denn so ein Podcast unbedingt nötig sei. Es wäre vielleicht was für Darstellendes Spiel, aber für andere Fächer …
Abgesehen davon, dass wir älteren Lehrer Lernen viel zu sehr textfixiert betrachten (Schüler lesen, geben schriftlich wieder, hören, geben mündlich wieder …), scheint mir dabei noch ein anderes Problem sichtbar zu werden.
Dass Lernen etwas mit „Verinnerlichen“ von Wissen zu tun hat (Internalisieren), wissen die meisten. Dass dieses Nachinnennehmen jedoch nicht direkt geht, sondern ein Prozess der Verinnerlichung einer zuvor äußerlichen Tätigkeit ist, das ist schon weniger bekannt. (Wir können dies nachvollziehen an dem Umstand, dass Lesen lernen zunächst immer laut sprechend vor sich gehen muss, dabei auch noch vom Finger unterstützt, der in der Zeile zeigt, wo es lang geht, anschließend werden nur noch lautlos die Lippen bewegt, bis schließlich vollständig Lesen gelernt ist, indem der Leser erst nur noch innerlich „spricht“, später gar nicht mehr, und weder die Tätigkeit von Lippen noch Fingern nötig ist.)
Vygotskij, auf den diese Erkenntnis zurückgeht, hat jedoch auch noch etwas anderes herausgefunden. Nämlich, dass es zum erfolgreichen Lernen auch noch der Externalisierung bedarf, d.h. des Produzierens von neuen Gegenständen, der kreativen Vergegenständlichung von Wissen. Genauer: Lernprozesse sind ein beständiger Wechsel zwischen Interiorisierung (Verstehen) und Externalisierung (Schöpfungsprozesse der Vergegenständlichung). Exteriorisierungen können alle Sinne berücksichtigen und jedes mögliche Medium benutzen (alle z.B. in einem Blog). Die Umformung von kognitivem Wissen – etwa über den Klimawandel – in ein Hörspiel vergegenständlicht dabei nicht nur das interiorisierte Wissen, sondern verarbeitet es in neuen Kontexten mit Urteilen und Einstellungen zu wirklich neuem Wissen.
Wichtig scheint mir außerdem dabei zu sein: Dieses neue Produkt – sei es ein selbst geschriebener Essay („Besinnungsaufsatz“) , eine Theaterszene, ein kleines Video oder eben ein Podcast – ist nicht das „Endprodukt“, sondern kann wieder zur Diskussion gestellt werden. Dem Produktionsteam, der Klasse, den Eltern auf dem Elternabend, der ganzen Schule oder sogar der außerschulischen Öffentlichkeit. Es befördert neue Lernschleifen enorm, wenn über die Präsentation Kommunikationen entsteht und die Produzenten mit neuen Fragen konfrontiert werden, die sie lösen wollen.
In meiner Schulzeit haben wir immerfort nur Gehörtes und Gelesenes auf Abfrage wiedergegeben. Selten durften wir eigenes produzieren. Die einzige Möglichkeit war der Deutschaufsatz – darum habe ich schreiben gelernt. Was hätte ich sonst tun können? Dann kamen mit der Oberstufenreform der 70er Jahre die Referate. (Dies erwischte mich erst an der Uni.) Es wurde Geschriebenes vorgetragen, oft vorgelesen. Später durften die Schüler auch mal auf einem Plakat etwas visualisieren, als diejenigen Lehrer wurden, die in der Zeit der Studentenbewegung gelernt hatten, große Plakate zu gestalten. Und mit Powerpoint und den Web 2.0 – Medien schließlich stehen den Schülern Präsentationsmöglichkeiten zu Verfügung, die sowohl Visualisierungen mit Bildern und Grafiken, als auch Videos und eingebettete Audios ermöglichen. Endlich ist das Zeitalter des Externalisierens beim Lernen angebrochen. Mit allen Sinnen. Kreativ. Einfach zu realisieren. Und in allen Fächern und für alle Lerngegenstände sinnvoll anzuwenden und ab jetzt unverzichtbar.
Externalisiert haben schon immer die künstlerischen Fächer. Es wird Theater gespielt, Bilder werden gemalt, Skulpturen geschaffen und die Schulband tritt auf mit ihren fleißig geprobten Stücken.
Ein Kollege, der viel Theater gespielt hat mit seinen Schülern, machte mich neulich auf etwas Wichtiges aufmerksam: In den künstlerischen Fächern sind Schüler und Lehrer es gewohnt, Fertiges vorzuführen. Fertige Bilder werden ausgehängt, die fertig geprobten Szenen werden am Theaterabend gezeigt und das fertige Weihnachtsmärchen mit Musik aufgeführt. Das externalisierte Produkt steht am Ende des Lernprozesses. Alles das ist jedoch nie etwas Fertiges. Wir merken das schmerzlich, wenn die Blockflöten an der falschen Stelle piepen oder das Drama allzu laienspielmäßig geraten ist. Wie soll auch! Die Schüler sind keine professionellen Schauspieler, Musiker und Tänzer – und die Lehrer keine professionellen Regisseure und Dirigienten. Es ist also in Wirklichkeit auch alles vermeintlich „Fertige“ immer etwas Vorläufiges – ein Zwischenprodukt der Lerntätigkeit. Wenn wir uns mehr trauen würden, solche Zwischenprodukte zur Diskussion zu stellen, dann könnten sie großartige Lernanlässe abgeben.
„Soweit sind wir gekommen“ könnte die Einleitung zu einer Präsentation des Zwischenergebnisses vor der Klasse, vor Eltern, vor dem Parallelkurs Darstellendes Spiel sein. „Bitte sagt uns, was ihr davon haltet und macht Vorschläge zur Verbesserung!“ könnte das Schmoren im jeweils eigenen Saft und die Fixierung auf den einen Lehrer aufheben. Seit einiger Zeit ist es üblich geworden, dass Promovierende ihre Dissertation schon in einem frühen Stadium auf Tagungen als „Poster“ zur Diskussion stellen, um sich bei KollegInnen Anregungen zur Lösung von Problemen zu holen oder um überhaupt mal zu testen, ob die Idee und die Anlage der Arbeit trägt und ihre Vergegenständlichung / Präsentation verständlich und sinnvoll ist.
Wir müssen auch in der Schule viel mehr Externalisierung in die Lernprozesse einbauen. Und zwar nicht erst, wenn abgefragt wird im Test oder in der Klausur, und dann kommt der nächste Lerngegenstand, sondern an vielen Stellen als notwendige Phasen des Lernprozesses selbst. Zur Klärung, zur Diskussion, zur Weiterarbeit. Kunstlehrer lassen schon immer Skizzen anfertigen und stellen sie zur Diskussion. Aber diese Art des Lernens kann auf andere Fächer übertragen werden. Wenn die SchülerInnen ihren Stadtteil erforschen und dabei Interviewmaterial im Voicerecorder gesammelt haben, können sie anschließend das Material verarbeiten zu einem präsentierbaren Podcast, in dem sie selbst sprechen und sorgfältig ausgewählte Interviewpassagen als O-Töne einbinden. Und die Zuhörer lernen, auf die Präsentation zu reagieren: Wie war das Problem dargestellt? Ist wichtiges unverständlich geblieben oder gar nicht angesprochen worden? Welche neuen Fragen sind entstanden, die wir unbedingt noch klären wollen?
Zu sehen ist daran auch: Ständiges Bewerten und Benoten solcher Externalisierungen hemmt in jeder Hinsicht den Lernprozess. Schüler klatschen bei jeder Präsentation ihrer Klassenkameraden und vermeiden kritische Rückfragen, damit sie ihren Freunden nicht schaden. (Und das gehört sich so und passt zum System.) Wenn ein Produkt das Ende der Unterrichtseinheit ist, gibt es nur noch eine Note dafür, aber man kann nicht mehr viel draus lernen, nichts mehr verbessern, sich nicht mehr selbst korrigieren und vervollkommnen. Ein blödes Gefühl. Man sollte viel mehr Zwischenprodukte präsentieren dürfen, um daran zu lernen, indem man Feedback zu nutzen lernt. Wenn man die Chance nicht hat, dann ist jedes Produkt ein Endprodukt und das Ende des Lernens zu diesem Thema – besiegelt mit einer unveränderlichen Ziffernote.
Ja klar, „soviel Zeit haben wir nicht, um jedes Thema so ausführlich zu unterrichten“, „der Lehrplan ist zu voll“, „wir müssen weiter, um alle Zentralabiturthemen bearbeitet zu haben“. Solche Einwände haben unbedingt ihre Berechtigung, denn es ist die Logik der Kanon-Schule. Wenn aber erst mal im Lehrplan steht: „Selbstrecherchiertes Wissen zu einem selbstgewählten Gegenstand Externalisieren können und aus dem Feedback des Auditoriums auf die Präsentation Hinweise zur Verbesserung entnehmen und umsetzen können“ anstatt „Die Schüler kennen Karl den Großen und wissen um seine Bedutung für die Entstehung des Deutschen Reiches“, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter. In Hamburg soll jedenfalls der erste Jahrgang der Profiloberstufe im mündlichen Abitur demnächst nicht mehr Prüfungsfragen beantworten, sondern Wissen präsentieren. Nun muss ein nicht unerheblicher Teil der Lehrer erst mal selbst seine Präsentationskompetenz kritisch durchsehen und verbessern. Und dann lernen, wie er Schülern soetwas beibringt. Viel neues zu Lernen für alle! Hoffentlich gibt es auch Zeit dafür! Ich bin gespannt!